Warum Gruppendiskussion und dokumentarische Methode

Last modified by Helmut Nagy on 2010/05/06 18:13

Gibt es zum Thema “Wissensmanagement” und zur Thematik der Einführung von Wissensmanagement in Organisationen schon eine ganze Reihe von Studien (u.a. North,1 Probst,2 Willke3), so sieht die Forschungslage zum Thema “Semantic Web” schon anders aus, und wirkliche Studien zur Einführung bzw. Relevanz von Semantic Web in Unternehmen, geschweige denn zur Verbindung von Semantic Web und Wissensmanagement sind mir, mit Ausnahme des Web Awareness Barometer, nicht bekannt. Dies kann sicher damit begründet werden, dass das Thema zumindest im Praxiskontext noch sehr neu ist, denn im Forschungsbereich ist es, wenn man die Studien zu „Artificial Intelligence“ und „Textmining“ als Wurzeln des Semantic Web miteinbezieht, ja schon seit langem ein Thema (siehe u.a. Gruber4 zu Ontologien).

Generell ist auch festzustellen, dass zum Semantic Web, und wenn man es etwas weiter nimmt, zum Web 2.0 oder Social Web, einiges an Arbeiten vorliegt, die sich mit dem Nutzen und den Möglichkeiten beschäftigen, die diese Technologien bringen können. Aber die Auseinandersetzung mit jenen, denen diese Technologien Nutzen bringen sollen bzw. die diese Technologien nutzen sollen, findet kaum statt. Die Frage: “Braucht man das eigentlich? bzw. wenn ja: „Wie soll das dann aussehen und funktionieren?”, wird nicht oder nur selten gestellt. Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, welche Möglichkeiten sich durch den Einsatz semantischer Technologien gerade in der heutigen Arbeitswelt eröffnen können, aber ohne die Benutzer, die diese Technologien einsetzen und damit arbeiten, stellen sie auch nur eine weitere Möglichkeit dar, die nicht genutzt wird.

Aus den für die Arbeit formulierten Forschungsfragen geht hervor, dass das Augenmerk in dieser Arbeit ganz bewusst bei denen liegt, die von Themen wie “Wissensmanagement” und “Semantic Web” bzw. der Einführung von Konzepten, Strukturen und Technologien die diese Themen unterstützen oder etablieren sollen, betroffen sind. Wie einleitend aufgezeigt wurde, ist die Forschungslage dazu, was sich die Betroffenen, das heißt z.B. die Mitarbeiter in einer Organisation unter Wissensmanagement vorstellen und davon erwarten bzw. was sie über Semantic Web wissen und welche Möglichkeiten sie darin für sich selbst und ihr Arbeitsumfeld sehen, noch sehr dürftig. Diese legte für diese Arbeit den Einsatz rekonstruktiver bzw. qualitativer Verfahren nahe, denn: ”Hier ist der zu untersuchende Gegenstand Bezugspunkt für die Auswahl von Methoden und nicht umgekehrt. Gegenstände werden nicht in einzelne Variablen zerlegt, sondern in ihrer Komplexität und Ganzheit in ihrem alltäglichen Kontext untersucht. Deshalb ist ihr Untersuchungsfeld auch nicht die künstliche Situation im Labor, sondern das Handeln und Interagieren der Subjekte im Alltag”5

”In einer Gruppendiskussion [...] kann mir dadurch vieles klarer werden, dass ich den Einzelnen in der Kommunikation mit denjenigen erlebe, mit denen er oder sie auch im Alltag kommunizieren, also innerhalb des gewohnten sozialen Kontextes [...]”6 Aus dieser Kommunikation, die im Rahmen einer Gruppendiskussion stattfindet, lassen sich kollektive Orientierungen oder Haltungen ableiten.7 Aus diesem Grund wurde die Gruppendiskussionen als Erhebungsmethode für diese Arbeit gewählt, da sie geeignet erscheint Anhaltspunkte für den kollektiven Zugang zur untersuchten Thematik zu bieten. Die dokumentarische Methode stellt eine Möglichkeit zur Auswertung von qualitativer Erhebungen dar, die im Zusammenhang mit der Gruppendiskussionen entwickelt wurde, und sich natürlich schon deshalb sehr gut für die Auswertung von auf diese Art erhobenen Daten eignet.8

Ein weiterer Punkt, der für den Einsatz der dokumentarischen Methode spricht ist, dass sie eine vermittelnde Position zwischen einer objektiven und einer subjektiven Herangehensweise bietet. ”Die dokumentarische Methode setzt nun die erkenntnislogische Differenz nicht bei der Unterscheidung zwischen subjektiv und objektiv an: Sie unterscheidet vielmehr zwischen der im Erleben verankerten Herstellung von Wirklichkeit, [...] und kommunikativ generalisiertem Wissen, [...] mithin um das Wie der Herstellung sozialer Realität [...]”9 Dabei liegt der Fokus auch bei der dokumentarischen Methode bei der kollektiven Herstellung von Wirklichkeit, was wieder die Möglichkeit bietet auf den kollektiven Zugang zur untersuchten Thematik zu fokussieren.

Zum Ablauf der Diskussionen

Ziel der durchgeführten Gruppendiskussionen war es, mit den Teilnehmern über ihr Verständnis und Ihren Kenntnisstand zu den Themen Wissensmanagement und Semantic Web zu diskutieren. Während der Diskussionen wurden beide Themen in ihren Grundzügen vorgestellt und zum Thema “Semantic Web” wurden Beispiele semantischer Technologien vorgezeigt. Dabei wurde versucht, vor allem auf Beispiele einzugehen die für den Einsatz durch “normale” Benutzer gedacht sind, wobei unter “normalen” Benutzern Mitarbeiter ohne spezielle Vorkenntnisse oder eine spezielle Ausbildung verstanden werden. In den Diskussion wurden diese Ansätze mit Fokus auf die Anwendbarkeit in der täglichen Arbeitspraxis der Teilnehmer, diskutiert. Der Ablauf der Diskussionen war im Prinzip für alle gleich, wurde aber aus verschiedenen Gründen, die im Anschluss angeführt werden, zwischen den einzelnen Diskussionen leicht modifiziert.

So teilte sich der Diskussionsablauf im Wesentlichen wie folgt:

  • Einleitung, in der kurz auf das Thema und das Forschungsvorhaben eingegangen wurde und die Teilnehmer über den Ablauf der Diskussion informiert wurden. Außerdem erfolgte hier eine kurze Vorstellungsrunde der Teilnehmer.
  • Diskussion zum Thema “Wissensmanagement”. Dieser Teil gliederte sich wie folgt:
    • Einstiegsrunde, mit der Einstiegsfrage, was die Teilnehmer unter “Wissensmanagement” verstehen.
    • Einführung zum Thema durch den Interviewer.
    • Diskussion zum Thema mit Schwerpunkt auf die Arbeitspraxis der Teilnehmer.
  • Diskussion zum Thema “Semantic Web”. Dieser Teil gliederte sich wie folgt:
    • Einstiegsrunde, mit der Einstiegsfrage, was die Teilnehmer unter “Semantic Web” verstehen.
    • Einführung und Beispiele zum Thema durch den Interviewer.
    • Diskussion zum Thema mit Schwerpunkt auf die Möglichkeiten, die von den Teilnehmern gesehen werden.
  • Abschlussrunde, in der die beiden zuvor diskutierten Themen in Zusammenhang gesetzt wurden.

In der ersten durchgeführten Diskussion (Gruppe “Doku”) wurde die “Einstiegsrunde” für beide Themen an den Anfang der Diskussion gestellt, dies stellte aber einerseits einen Bruch in der Diskussion zum Thema “Wissensmanagement” dar, andererseits war damit der Einstieg zum Thema “Semantic Web” bei der Einführung zum Thema nicht mehr präsent. In den übrigen Diskussionen wurde die Einstiegsrunde deshalb an den Anfang der Diskussion zum jeweiligen Thema gesetzt. Eine Abschlussrunde konnte aus Zeitgründen nur bei den ersten beiden Diskussionen (Gruppe “Doku”, Gruppe “Technik”) durchgeführt werden. Bei den letzten beiden Diskussionen (Gruppe “DaF”, Gruppe “Energie”) wurde versucht diesen Aspekt in die Diskussion zum Thema “Semantic Web” zu integrieren.

Generell wurden alle Diskussionen von den Teilnehmern sehr positiv aufgenommen. Besonders reizvoll schien dabei die Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit und zur Reflektion über den eigenen Arbeitsalltag. Das Thema “Wissensmanagement” war allen Teilnehmern geläufig und sie konnten leichter einen Bezug zu ihrer Arbeitspraxis herstellen. Das Thema “Semantik Web” war nur den wenigsten Teilnehmern geläufig und deshalb sowohl in der Diskussion für die Teilnehmer schwerer fassbar als auch in der Einführung schwerer vermittelbar.

  1. ^ North 2005
  2. ^ Probst 1998
  3. ^ Willke 2001
  4. ^ Gruber 1993
  5. ^ Flick 2005, S. 17
  6. ^ Bohnsack 2003, S. 21
  7. ^ Przyborski 2008, S. 61
  8. ^ Przyborski 2008, S. 272
  9. ^ Przyborski 2008, S. 275