Att08Chap2Beobachtung

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Beobachtung

Quantitative und qualitative Beobachtung
Quantitativ orientierte Beobachtung

Sie unterscheiden sich von qualitativen Methoden durch die wissenschaftstheoretische Grundposition, den Status von Hypothesen und Theorien, sowie dem Methodenverständnis. Empirische Forschung soll theoriegeleitet Daten über die soziale Realität sammeln, wobei die Kriterien der Reliabilität, der Validität sowie der Repräsentativität und der intersubjektiven Überprüfbarkeit zu genügen haben. In erster Linie auch der Prüfung der vorangestellten Theorien und Hypothesen dienen.

Quantitativ orientierte Beobachtungsstudien sind durch hochstrukturierte, theoriegeleitete und kontrollierte Wahrnehmung, Aufzeichnung und Auswertung gekennzeichnet, (wobei die Datensammlung und -auswertung meist zeitlich und professionell auseinander fallen)

Qualitativ orientierte Methode

Qualitative Sozialforschung beruft sich auf das interpretative Paradigma, die Hermeneutik und die Phänomenologie.

Forschungsprinzipien:

  • Offenheit
    Keine vorab entwickelten Hypothesen und Theorien, Untersuchungsgegenstand bestimmt die Forschung (Gegenstandsorientierung)
  • Prozesscharakter
    Akt der Forschung = Prozess der Kommunikation zw. Forscher und Beforschten
  • Reflexivität
    Keine Trennung zwischen Entdeckungs- und Begründungszusammenhang, Theorien und Hypothesen werden im laufenden Forschungsprozess generiert
  • Explikation
    theoretisches Vorwissen offen legen, Forschungsschritte und Interpretationen nachvollziehbar machen
  • Forschung ist Kommunikation
  • Problemorientierung
    Formulierung der Forschungsfrage aus wahrgenommenen Problemen. Ergebnisse wirken auf gesellschaftliche Praxis zurück.
Bestandteile der Beobachtung
Beobachtungsfeld

damit wird derjenige räumliche und/ oder soziale Bereich bezeichnet, indem die Beobachtung stattfinden soll. Eine quantitativ orientierte Beobachtung setzt eine Definition des Beobachtungsfeldes voraus und impliziert, dass sich dieses Feld im Forschungsverlauf nicht oder nur wenig verändert. Bei der qualitativ orientierten Beobachtung kann und muss das Beobachtungsfeld nicht detailliert beschrieben werden, da es sich im Laufe der Forschungsarbeit verändern kann.

  • Laborbeobachtung
    Beobachtungsbedingungen werden künstlich festgelegt.
  • Feldbeobachtung
    untersucht das soziale Verhalten der Akteure in ihre natürlichen Umwelt, den dort herrschenden Bedingungen, ohne diese gezielt zu verändern.
Beobachtungseinheiten

Bezeichnen denjenigen Teilbereich sozialen Geschehens, der konkreter Gegenstand der Beobachtung sein soll.

Beobachter

Berücksichtigt werden muss, welchen Beobachtungsstatus er/ sie in der Beobachtung einnimmt. Dieser wird im Partizipationsgrad im Feld festgestellt (inwieweit nimmt der Beobachter an der zu untersuchenden sozialen Situation teil)

Beobachterrollen > korrespondiert mit dem Partizipationsgrad

Dem Beobachter sind zwei Rollen gegeben:

  • seine Rolle als Forschender (Beobachter)
  • seine Teilnehmerrolle im Feld

Quantitativ orientierte Beobachtungsdesigns betonen die Rolle als forschender Beobachter (ist meistens mit einem geringem Partizipationsgrad im Feld verbunden).

Qualitativ orientierte Beobachtungsdesigns betonen die Teilnehmerrolle. Setzt einen hohen Partizipationsgrad des Forschers im Feld und die Identität von Forscher und Beobachter voraus. Bezug zum Beobachtungsfeld ist wichtig weil Beobachterrollen nur unter Vorgaben des Feldes gezählt werden können.

Beobachtete

Abgrenzung ergibt sich aus Beobachtungsfeld und Beobachtungseinheit.

Formen der Beobachtung

Eine Typisierung der wichtigsten Beobachtungsformen kann nach dem Grad ihrer Strukturiertheit, ihrer Offenheit und ihrer Teilnahme vorgenommen werden. Quantitative Beobachtungen lassen sich von qualitativen am besten anhand der Dimensionen „Strukturiertheit“ und „Teilnahme“ unterscheiden.

Strukturiertheit

bezieht sich auf den Prozess der Wahrnehmung und dem der Aufzeichnung. Es liegt vorab ein erstelltes Beobachtungsschema zugrunde, das angibt „was“ und „wie“ zu beobachten ist. Es definiert die Zahl und Art der Beobachtungseinheiten, deren besondere Dimensionen und gibt Beispiele für die Sprache, in der beobachtet werden soll.

  • Aufstellen von Hypothesen
  • Entwicklung von Beobachtungskategorien: für jedes Beobachtungsintervall kann nur eine Ausprägung zutreffend zugeordnet werden.
  • Pretests: es wird geschaut, ob die Beobachtungskategorien das Verhalten abdecken.
  • Zeitintervalle müssen festgelegt werden.

Unstrukturierte Beobachtung: Es liegen keinerlei inhaltliche Beobachtungsschemata zugrunde, sondern Leitfragen für die Forschung. Unterschied zur strukturierten Beobachtung ist die inhaltliche Offenheit dieser Aspekte. Es sollte nicht soviel Zeit zwischen Beobachtung und Aufzeichnung verstreichen, da Protokoll aus der Erinnerung eine spezielle Selektion aufweisen.

Offenheit

Bezieht sich auf die Transparenz der Beobachtungssituation für die Beobachteten und kann zwischen verdeckt und offen variieren.

  • Verdeckte Beobachtung
    Beobachtete wissen nicht, dass sie beobachtet werden. Wird aber selten durchgeführt. Bsp.: bei Sektenaktivitäten, Sexualverhalten
  • Offene Beobachtung
    Beobachtete wissen, dass sie beobachtet werden. Vertrauensverhältnis zwischen Beobachter und Beobachteten wird geschaffen, ein Informationsaustausch und ein Verstehen der fremden Lebenswelt ohne Täuschung wird ermöglicht.
Teilnahme
  • Passive Teilnahme
    Passiv teilnehmend bedeutet, dass sich der Beobachter ganz auf seine Rolle als forschender Beobachter beschränkt und wenig bis nicht an den zu untersuchenden Interaktionen bzw. sozialen Konstellationen teilnimmt. Beobachter wird als „complete observer“ (reiner Beobachter) bezeichnet. (niedriger Partizipationsgrad)
  • Aktive Teilnahme
    Aktiv teilnehmende Beobachter nehmen an der natürlichen Lebenswelt der Untersuchungspersonen teil, pflegen zu ihrer intensiven Kontakt. Führt immer dazu, dass der forschende Beobachter eine Teilnehmerrolle im Feld übernimmt. Beobachter als "observer-as-participant" (überwiegend Beobachter), als "participant-as-observer" (überweigend Teilnehmer) oder als "complete participant" (völlige Identifikation mit Feld, verheimlicht seine Forschungsabsicht, methodisch/ethisch Problematisch) benannt. (hoher Partizipationsgrad)
Klassifikation

Aus den drei Dimensionen Strukturiert heit ergeben sich acht Klassifikationen möglicher Beobachtungsformen:

 strukturiertverdecktpassiv
aktiv
  offenpassiv
aktiv
 unstrukturiertverdecktpassiv
aktiv
  offenpassiv
aktiv

Allgemein wird von teilnehmender Beobachtung gesprochen wenn Beobachter im Feld beobachten. Höchste Bedeutung hab qualitativ-teilnehmende Beobachtung.

Die qualitativ – teilnehmende Beobachtung

Begriff: Beobachtung ist soziale Handlungsform und wissenschaftliches Verfahren zugleich. Mit der jeder Beobachtung geht ein Mindestmaß an sozialer Teilnahme einher. Bei der teilnehmenden Beobachtung ist die soziale Interaktion der Forscher im Feld ein ausdrücklicher Bestandteil des methodischen Vorgehens. Sie ist als Prototyp der Feldforschung in der Ethnologie bekannt geworden. Sie definiert sich durch die besondere Stellung der Beobachter im Feld. Sie ist charakterisiert durch die unmittelbare Beteiligung des Beobachters an den sozialen Prozesses im System.

Teilnehmende Beobachtung bedeutet, dass die Forscher direkt in das zu untersuchende soziale System gehen und dort in der natürlichen Umgebung Daten sammeln. Quantitative Forschungen gehen davon aus, dass eine Überidentifikation ("going native") mit dem Feld zu Wahrnehmungsverzerrungen und zum Verlust der Objektivität führt. Teilnahme und Interaktion mit dem Forschungsfeld führen in der qualitativen Sozialforschung zu Offenheit und bieten erst die Chance, die Interpretationsprozesse der Akteure zu verstehen und zu erfassen.

Die idealtypische Form qualitativ - teilnehmende Beobachtung ist unstrukturiert, aktiv - teilnehmend und offen.

Forschungspraxis:

  • offener reflexiver Forschungsablauf
  • intensive Feldarbeit
  • Wechsel zwischen Datenerhebung und Datenauswertung
  • direktes Verhältnis der Forscher zum Feld.
Forschungsablauf

Feldzugang > Rollendefinition bzw. -wahl > Datenerhebung > Datenauswertung > Feldrückzug

Feldzugang: Zu Beginn wird geklärt in welchem Feld geforscht wird; welche Nutzung des Feldzuganges gewählt wird und durch welche Kontaktperson geforscht werden kann. Forschungsphase beginnt mit dem Sammeln von Informationen: räumlicher Ausdehnung, Zahl und Typisierung der agierenden Personen, den Organisationsgrad und der wichtigsten Kommunikationskanäle.

Verschiedene Ausgangspunkte (Girtler):

  1. unvorbereitet
  2. vom Forscher initiierte Kontaktaufnahmen
  3. formale Erlaubnis
  4. berufliche Eingliederung
  5. Auftrag bzw. Bitte

Rollendefinition bzw. Rollenwahl: Teilnehmerrollen müssen flexibel und offen sein, sodass Forscher im Feld agieren und reagieren kann. Rollen müssen dem Feld entsprechen bzw. in diesem bereits angelegt sein, damit das Feld durch die Forschung nicht verändert wird. Es muss überlegt werden ob die Forscherrolle offen gelegt oder teilweise verdeckt wird. Verhältnis zwischen Forscher- und Teilnehmerrollen muss geklärt werden (Distanz und Teilnahme)

Datenerhebung und Auswertung: Forscher sind selbst Wahrnehmungsinstrumente. Daten sollen protokolliert werden und ein Forschungstagebuch genutzt werden. Auswertung mittels objektiver Hermeneutik oder qualitative Inhaltsanalyse.

Feldrückzug: Der 'richtige' Umgang mit den aufgebauten Kontakten und dem erhaltenen Vertrauen ist nicht nur im Hinblick auf weitere Forschung, den Vertrauensschutz der befragten und beobachteten Personen, sondern auch im Rahmen der Teilnehmerrolle wichtig.

Anwendungsgebiete - Vorzüge - Grenzen:

Anwendungsgebiete: Deskription sozialen Handelns in natürlichen Situationen, die Erforschung komplexen Handelns in natürlichen Situationen, die Erforschung komplexer Handlungssysteme, die Rekonstruktion von Strukturen und die Theoriebildung.

Grenzen: menschliche Wahrnehmungsfähigkeit, Zeit- u. Kostenargumente, Begrenzung auf beobachtbare Phänomenen, soziale und fachliche Anforderungen an Forscher

Kritik: Repräsentativität und Wissenschaftlichkeit der gewonnenen Daten.

Probleme und Grenzen wissenschaftlicher Beobachtung

Methodisch und forschungspraktische Probleme

  • Probleme, die mit der selektiven Wahrnehmung des Beobachters verbunden sind.
    Beobachter kann aus der Vielfalt der in bestimmten Moment vorhandenen Umweltreizen, nur einen bestimmten Teil aufnehmen.
  • Probleme, die sich aus der Teilnahme des Beobachters im Feld (aus der Forschungspraxis) ergeben.

Forschungsethische Fragen

  • Forschungsprozess
    Verletzung "Eigenbestimmungsrechte" beteiligter Personen
  • Zweck
    Forschungsfragen können unmoralisch sein bzw. zur Stabilisierung von Machtverhältnissen instrumentalisiert werden
  • Konsequenzen
    Mögliche Folgen einer Publikation (Schädigung der Untersuchten)

Verhaltensstützen/Reflexionsaspekte:

  • Individuelle Schädigung durch die Forschung ist zu vermeiden
  • Im Zweifel für die Forschungsbeteiligten
  • Offenheit für Menschen und Kulturen
  • Achtung der Selbstbestimmungsrechte anderer
  • Mögliche Folgen von Veröffentlichungen bedenken und mit dem Forschungsanliegen abwägen
  • Ständige Selbstreflexion der Forscher über sich und die Forschungsabsichten.