Att08Chap2Befragung
Befragung
Alltägliche Befragung - wissenschaftliche Befragung
Alltagsgespräche als Austausch von Informationen
- Alltägliche Befragung ist ein sozialer Vorgang
Zwei oder mehrere Personen stehen miteinander in Beziehung. - Alle Befragungen sind zielgerichtet (es gibt ein Interesse)
Der aktiv Fragen stellende wünscht Informationen, die in Beziehung zu seinen Fragen steht. - Zur Situation der Befragung
Mittel der Befragung ist die Sprache, verweist auf bestimmten kulturellen Hintergrund, sodass die soziale Situation (Befragung) durch kulturelle Muster geprägt wird.
Kriterien der Wissenschaftlichkeit: Unterschied zwischen alltäglicher und wissenschaftlicher Befragung besteht in der theoriegeleiteten Kontrolle (systematische Vorbereitung) der gesamten Befragung. Wissenschaftlichkeit beruht auf systematischer Zielgerichtetheit und Theorie.
Interview als soziale Situation
Jede Befragung stellt eine soziale Situation dar.
Stimulus-Reaktions-Modelle
- S -> R-Modell
Zusammenhang zwischen Stimulus und Reaktion. Höchstmögliche Kontrolle auf Stimulus (Frage, Fragebogen) -> Nicht der Interviewer sondern der Fragebogen muss schlau sein. (repräsentative Umfragen) - S -> P -> R-Modell
Keine zwingende unmittelbare Beziehung zwischen Stimulus und Reaktion. Interviewsituation als Reaktionssystem. (Stimulus -> Person -> Reaktion) Reaktion geprägt durch Normenvorstellungen der befragten Personen (Verstehen - Bewerten - Urteilen). (Forschung erst am Beginn)
Normensyndrome:
- gesamtgesellschaftliche Normen
- gruppenspezifische Normen
- interviewspezifische Normen
Verbindliche unverbindliche Meinungen
Antworten haben unterschiedlichste Verbindlichkeit. Je allgemeiner eine Frage, desto unverbindlicher (weniger Betroffenheit)
Zentralität: einerseits Grad der Betroffenheit, andererseits Bezug zu wesentlichen existentiellen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen. Je höher der Grad der Zentralität, desto wahrscheinlicher Übereinstimmung zwischen geäußerter Meinung und effektivem Verhalten.
Meinungen als Artefakte
Artefakt: damit ist die durch das Instrument eingeschränkte und provozierte Meinungsäußerung zu verstehen. (z.B. Wenn Begriffe verwendet werden, die vom Befragten nicht verstanden werden)
Formen der Befragung
Systematik der Einordnung:
- Instrumentalisten (S -> R)
Hauptaugenmerk und Hauptaufwand wird auf die Perfektionierung der Instrumente „Fragebogen“ gelegt. - Interaktionisten (S -> P -> R)
Gehen davon aus, dass der Sinn von Gesprächen und auch die Reaktionen auf Fragen, nur im je einzelnen Kontext einer ganz bestimmten sozialen Situation verstehbar ist.
Je nach Forschungsziel und Forschungsvorhaben können in derselben Untersuchung verschiedene Typen angewendet werden. Merkmale der Typologisierung:
- Kommunikationsform (wenig/teil-/stark strukturiert)
- Kommunikationsart (schriftlich/mündlich/kombiniert)
Sieben Typen der Befragung:
wenig strukturiert | mündlich | informelles Gespräch Experteninterviews Gruppendiskussion |
schriftlich | Informelle Anfrage bei Zielgruppen | |
teilstrukturiert | mündlich | Leitfadengespräch Intensivinterview Gruppenbefragung Expertenbefragung |
schriftlich | Expertenbefragung | |
stark strukturiert | mündlich | Einzelinterview/telefonische Befragung (häufigste Befragungsart) Gruppeninterview Panelbefragung |
schriftlich | postalische Befragung persönliche Verteilung und Abholung gemeinsames Ausfüllen von Fragebogen Panelbefragung | |
kombiniert | telefonische Ankündigung des Versandes von Fragebogen Versand oder Überbringung des schriftlichen Fragebogens telefonische Kontrolle evntuell telefonische Ergänzungsbefragung |
Merkmal der Kommunikationsart:
- Wenig strukturiertes Interview
Interviewer hat Kontrolle, er arbeitet ohne Fragebogen, verfügt über einen hohen Freiheitsspielraum, da er die Anordnung oder Formulierung seiner Fragen dem Befragten jeweils individuell anpassen kann. Gesprächsführung ist flexibel.
Interviewer hört dem Befragten zu. Gespräch folgt nicht den Fragen des Interviewers, sondern die jeweils nächste Frage ergibt sich aus den Aussagen des Befragten. Forscher muss sorgfältig geschult sein. Ziel ist es „Sinnzusammenhänge“, also die Meinungsstrukturen des Befragten zu erfassen.
Wenig strukturiert bedeutet kein vorfixiertes Vorgehen des Forschers. - Stark strukturierte Befragung
Fragebogen muss vor der Forschung konstruiert werden. Exakte und sorgfältige Vorgehensweise ist besonders wichtig weil Fragebogen die Freiheitsspielräume des Interviews und des Befragten stark einschränkt.
Fragebogen legt den Inhalt, die Anzahl und die Reihenfolge der Fragen fest. Inhalt, Anordnung und Auswahl der Fragen werden durch die theoretischem Problemstellung bestimmt. - Teilstrukturierte Form der Befragung
Dabei handelt es sich um Gespräche, die aufgrund vorbereiteter und vor formulierter Fragen stattfinden, wobei die Abfolge der Fragen offen ist. Es wird ein Gesprächsleitfaden benutzt. Aus dem Gespräch ergeben sich neue Themen.
Stark strukturierte Befragungen sind ohne vorherige wenig oder teilstrukturierte Befragungen undenkbar.
Merkmal der Kommunikationsart:
Ob mündlich oder schriftlich befragt wird, hängt vom gesamten Forschungsverlauf ab. Bei persönlicher (mündlicher) Befragung ist durch den Interviewer immer auch ein "Verzerrungsfaktor" gegeben aber auch eine Regel-/Kontrollfunktion.
Interviewerverhalten:
- Weiches Interview
Interviewer spielt eine passive Rolle, er lässt dem Befragten den Gang des Gespräches bestimmen. Es wird angenommen, dass hier die Reaktionsmöglichkeiten des Befragten am höchsten sind. - Hartes Interview
Fragen werden so schnell gestellt, wie sie der Proband erfassen und beantworten kann. Das hat den Vorteil, ihn zu spontanen Antworten ohne viel Überlegungen zu zwingen (erinnert an „Verhörtechnik“). Es strukturiert die Situation wohl am stärksten und ausgeprägtesten. Ist nur sinnvoll, wenn vorher ausgiebig explorative Befragungen stattgefunden haben. - Neutrales Interview
Gefühle zwischen Interviewer und Befragten sollen möglichst ausgeschaltet sein. „Neutralität“ des Interviews versucht die Vergleichbarkeit der Informationen zu erhöhen.
Anwendungsbereiche einzelner Befragungstypen
Offene Konzepte – wenig strukturierte Befragung
Wird zur Klärung von Zusammenhängen verwendet. Es ist das Hauptinstrument in qualitativ ausgerichteter Forschung. Gordon (1977) unterscheidet sieben Punkte, die beim offenen Konzept zu beachten sind:
- Abgrenzung des Problems
- Abfolge der Fragen
Fragen als Anlaufphase, entscheidende Fragen nicht Anfang - Relevante Antwortkategorien
- Reichweite der Antwortkategorien
Bezieht sich auf den qualitativen Aspekt der Antwortkategorien. - Auffinden der richtigen Informanten
- Sprachliche Besonderheiten
Viele soziale Gruppen entwickeln sprachliche Besonderheiten. Für die Durchführung einer Studie muss man diese Codes entschlüsseln, um die Fragen entsprechend zu formulieren. - Hemmschwellen der Kommunikation
Oft werden Fragen nicht oder bewusst falsch beantwortet weil bei den Befragten individuelle oder soziale Hemmschwellen bestehen.
Befragung in Gruppen://
Gruppenbefragung: zum Beispiel wird ein Fragebogen in einer Gruppensituation ein einer Gruppensituation unter Anwesenheit eines Forschers beantwortet.
Gruppeninterview: Nach einem offenen Konzept lässt der Interviewer Fragen in einer Gruppensituation beantworten.
Gruppendiskussion: der Forscher beobachtet die freie Interaktion der Gruppenmitglieder zu einem gestellten Thema.. > sie können dazu verwendet werden, bestimmte Hemmschwellen abzubauen. Sie können spontan entstehen oder durch den Forscher angeregt werden, die Gruppe muss dies nur zulassen.
Gruppendiskussionen unterscheiden sich von Gruppenbefragungen dadurch, dass die Teilnehmer nicht nur Fragen des Forschers beantworten, sondern auch selber welche stellen.
Leitfaden Befragung://
Mündlich werden Einzelpersonen anhand von Leitfaden befragt. Eine besondere Form stellen die Intensivinterviews dar. Sie unterscheiden sich von Leitfadeninterviews durch Dauer und Intensität. Das setzt eine hohe Bereitschaft des Befragten voraus und wird dort angewendet, wo es darum geht besonders individuell Erfahrungen zu eruieren.
Wesentlich bei Leitfadengesprächen ist die Fähigkeiten des Forschers, zentrale Fragen im geeigneten Moment zur Diskussion zu stellen.
Nachteile gegenüber standardisierten Interview:
- höhere Anforderungen an den Interviewer
- stärkere Interviewereinflüsse
- höhere Anforderung an Befragte
- höherer Zeitaufwand
- geringere Vergleichbarkeit der Ergebnisse -> schwierigere Auswertung
Expertenbefragung: können anhand von teilstrukturierten Leitfaden mündlich und schriftlich durchgeführt werden.
Delphi Methode: hier werden in der folgenden Fragerunde Ergebnisse, Schätzungen und Widersprüche aus der vorhergehenden Fragerunde zur Beurteilung gestellt. Wird v. a. in der Zukunftsforschung angewandt, wo es darum geht, zukünftige Entwicklungen durch Fachleute abzuschätzen zu lassen. Beeinflussungen durch andere ist dabei die Methode.
Narratives Interview://
Hier wird weder Leitfaden, noch Fragebogen verwendet. Ziel dabei ist das Verstehen. Das Aufdecken von Sichtweisen und Handlungen von Personen, sowie deren Erklärungen aus eigenen sozialen Bedürfnissen. Von einem Interview im üblichen Sinne kann keine Rede sein. Es handelt sich um eine Forschungssituation, in der der Stimulus des Forschers darin besteht, eine „Erzählung eigenerlebter Geschichten“ in Gang zu bringen.
Phasen im Ablauf: Erzählphase – Rückgriffsphase – Bilanzphase.
Die bekannteste Form der Befragung ist das Interview, das mündlich anhand eines stark strukturierten Fragebogens als Einzelinterview geführt wird.
Sonderform bei der Verwendung von Fragebögen, ist die Panelbefragung. Sie ermöglicht Längsschnitte. Eine repräsentative ausgewählte Gruppe wird wiederholt zum gleichen Thema befragt. Es werden die gleichen variablen (Instrument Fragebögen wird stabil gehalten) bei denselben Personen (Population wird stabil gehalten) untersucht. Diese Art der Befragung eignet sich vor allem für das Erfassen von Veränderungen der Einstellungen und wird vor allem im Bereich der Markt- und politischen Meinungsforschung verwendet,.
Häufiger verwendet werden bei der Befragung repräsentative Querschnittsuntersuchung.
Trenduntersuchungen: beinhalten ebenfalls die wiederholte Anwendungen derselben Fragen, beziehen sich jedoch nicht auf einen identischen Befragtenkreis.
Standardisiertes - nicht-standardisiertes Interview
Unterschied: Verwendungsweise der Antwortkategorien
- standardisiert
Antworten in Kategorien zusammengefasst, um Vergleichbarkeit herzustellen - nicht-standardisiert
Verzicht auf Kategorisierung der Antworten oder Kategorisierung später vollzogen.
Synonyme Verwendung von strukturiert/unstrukturiert, standardisiert/nicht-standardisiert, geschlossen/offen ist nicht zulässig.
- strukturiert/unstrukturiert -> Interviewsituation
- standardisiert/nicht-standardisiert -> Instrument
- geschlossen/offen -> einzelne Frage
Offene und geschlossene Frage:
- Offene Frage
Enthält keine festen Antwortkategorien. Die Befragten können Antwort völlig selbstständig formulieren. - Geschlossene Frage
Dem befragten werden alle relevanten Antworten, nach Kategorien geordnet, vorgelegt.
Typen von geschlossenen Fragen:
- Identifikationstyp
Wer, wo, wann, wie viele oder welche? - Selektionstyp
Frage mit vorgegebenen Alternativen- Alternativ-Frage -> zwei Antwortmöglichkeiten
- Mehrfachauswahl-Frage -> mehr Antwortmöglichkeiten
Sonderform: Skala-Frage zur Messung von Werten, Meinungen Gefühle ...
- Ja-Nein-Typ
Direkte und indirekte Frage:
Indirekte Befragung versucht Gesprächssituation zu schaffen, in der auch über gefühls-/wertbeladene Probleme gesprochen werden kann.
Methoden:
- Assoziationsfragen: "Wenn Sie ... hören, woran denken Sie?"
- Fehler-Auswahl-Methode (Alle Antworten falsch, Richtung des Fehlers des Befragten gibt Auskunft über Einstellung)
Erwartung durch indirekte Fragen richtigere Antworten zu bekommen bisher nicht bestätigt.
Frage nach Zentralität von Meinungen:
Geben keine Kenntnis vom realen Sozialverhalten, wohl aber über wesentliche Beeinflussungsfaktoren sozialen Verhaltens.
Kategorisierung:
- Fragen nach Werthaltung
- Fragen nach der Klärung von Gefühlen (ungeklärter Zusammenhang zw. Werten u. Gefühlen, Übergang fließend)
- Fragen nach Verhaltensregeln
- Fragen nach vergangenem und aktuellem Verhalten
- Fragen nach der Rationalisierung von Werten und Verhaltensregeln bzw. Verhaltensweisen - Eigenschaften von Befragten
Faustregeln bei Frageformulierung (Schnell 1999):
- Fragen sollen einfache Wörter enthalten
- Fragen sollen kurz formuliert werden
- Fragen sollen konkret sein
- Fragen sollen keine bestimmte Beantwortung provozieren
- Fragen sollen neutral formuliert sein (keine "belasteten" Worte)
- Fragen sollen hypothetisch formuliert werden
- Fragen sollen sich nur auf den Sachverhalt beziehen
- Fragen sollen keine doppelten Negationen enthalten
- Fragen sollen Befragte nicht überfordern
- Fragen sollen zumindest formal "balanciert" sein.
Weitere Befragungsstrategien
Schriftliche Befragung
Fragebogen, der meistens postalisch versendet wird.
Vorteile schriftlicher Befragung:
- finanzielle Art – ist kostengünstiger
- Zeit: innerhalb kürzester Zeit, kann mit weniger Personal, eine größere Zahl von Befragten erreicht werden
Nachteile
- Befragungssituation ist nicht (kaum hinreichend) kontrollierbar
- Jede Frage muss zweifelsfrei verständlich sein
- Zahl der Ausfälle ist erheblich
Sie bedarf einer besonderen sorgfältigen Organisation. Fragebogen muss leicht ausgefüllt werden können.
Die Markt und Meinungsforschung wickelt heute einen Großteil ihrer Umfragen durch Telefoninterviews ab (Schätzung zw. 50-90%)
Vorteile:
- erhöhte Erreichbarkeit
- rasche Verarbeitungsmöglichkeit der erhaltenen Daten
- Relativ rascher Ersatz für Ausfälle
Nachteile:
- erschwerte Kontrolle der Situation Interview (man weiß nicht wer wirklich antwortet)
- Erinnerungsstützen in Form von Tabellen (erinnert an Artefakte)
- Begrenzung auf relativ einfache Fragengegenstände
- Fast gänzliche Ausrichtung auf stark strukturierte Stimuli
Kombinierte Verfahren
- Versand von Fragebogen bei telefonischer Befragung
- Delphi-Methode
Computergestützte Verfahren
- Internet und Online-Befragungen
Sind Antworten Fakten oder Artefakte
Jede Befragung beinhaltet Aussagen über die soziale Wirklichkeit, erfasst aber diese soziale Wirklichkeit selbst nur ausschnittsweise. Die Wissenschaftlichkeit der Befragung liegt in der Systematik der Kontrolle der sie begleitenden Vorgänge.