Wiki source code of Att08Chap2Befragung

Last modified by Helmut Nagy on 2010/05/03 19:40

Show last authors
1 == Befragung ==
2
3 {{box cssClass="toc"}}{{toc start="5"/}}{{/box}}
4
5 ===== Alltägliche Befragung - wissenschaftliche Befragung =====
6
7 Alltagsgespräche als Austausch von Informationen
8
9 * Alltägliche Befragung ist ein sozialer Vorgang
10 Zwei oder mehrere Personen stehen miteinander in Beziehung.
11 * Alle Befragungen sind zielgerichtet (es gibt ein Interesse)
12 Der aktiv Fragen stellende wünscht Informationen, die in Beziehung zu seinen Fragen steht.
13 * Zur Situation der Befragung
14 Mittel der Befragung ist die Sprache, verweist auf bestimmten kulturellen Hintergrund, sodass die soziale Situation (Befragung) durch kulturelle Muster geprägt wird.
15
16 Kriterien der Wissenschaftlichkeit: Unterschied zwischen alltäglicher und wissenschaftlicher Befragung besteht in der theoriegeleiteten Kontrolle (systematische Vorbereitung) der gesamten Befragung. Wissenschaftlichkeit beruht auf systematischer Zielgerichtetheit und Theorie.
17
18 ===== Interview als soziale Situation =====
19
20 Jede Befragung stellt eine soziale Situation dar.
21
22 ====== Stimulus-Reaktions-Modelle ======
23
24 * S -> R-Modell
25 Zusammenhang zwischen Stimulus und Reaktion. Höchstmögliche Kontrolle auf Stimulus (Frage, Fragebogen) -> Nicht der Interviewer sondern der Fragebogen muss schlau sein. (repräsentative Umfragen)
26 * S -> P -> R-Modell
27 Keine zwingende unmittelbare Beziehung zwischen Stimulus und Reaktion. Interviewsituation als Reaktionssystem. (Stimulus -> Person -> Reaktion) Reaktion geprägt durch Normenvorstellungen der befragten Personen (Verstehen - Bewerten - Urteilen). (Forschung erst am Beginn)
28
29 Normensyndrome:
30
31 * gesamtgesellschaftliche Normen
32 * gruppenspezifische Normen
33 * interviewspezifische Normen
34
35 ====== Verbindliche unverbindliche Meinungen ======
36
37 Antworten haben unterschiedlichste Verbindlichkeit. Je allgemeiner eine Frage, desto unverbindlicher (weniger Betroffenheit)
38
39 Zentralität: einerseits Grad der Betroffenheit, andererseits Bezug zu wesentlichen existentiellen Überzeugungen und Glaubensvorstellungen. Je höher der Grad der Zentralität, desto wahrscheinlicher Übereinstimmung zwischen geäußerter Meinung und effektivem Verhalten.
40
41 ====== Meinungen als Artefakte ======
42
43 Artefakt: damit ist die durch das Instrument eingeschränkte und provozierte Meinungsäußerung zu verstehen. (z.B. Wenn Begriffe verwendet werden, die vom Befragten nicht verstanden werden)
44
45 ===== Formen der Befragung =====
46
47 Systematik der Einordnung:
48
49 * Instrumentalisten (S -> R)
50 Hauptaugenmerk und Hauptaufwand wird auf die Perfektionierung der Instrumente „Fragebogen“ gelegt.
51 * Interaktionisten (S -> P -> R)
52 Gehen davon aus, dass der Sinn von Gesprächen und auch die Reaktionen auf Fragen, nur im je einzelnen Kontext einer ganz bestimmten sozialen Situation verstehbar ist.
53
54 Je nach Forschungsziel und Forschungsvorhaben können in derselben Untersuchung verschiedene Typen angewendet werden. Merkmale der Typologisierung:
55
56 * Kommunikationsform (wenig/teil-/stark strukturiert)
57 * Kommunikationsart (schriftlich/mündlich/kombiniert)
58
59 Sieben Typen der Befragung:
60
61 | wenig strukturiert| mündlich|informelles Gespräch
62 Experteninterviews
63 Gruppendiskussion
64 | |schriftlich|Informelle Anfrage bei Zielgruppen
65 | teilstrukturiert| mündlich|Leitfadengespräch
66 Intensivinterview
67 Gruppenbefragung
68 Expertenbefragung
69 | | schriftlich| Expertenbefragung
70 | stark strukturiert| mündlich|Einzelinterview/telefonische Befragung (häufigste Befragungsart)
71 Gruppeninterview
72 Panelbefragung
73 | | schriftlich|postalische Befragung
74 persönliche Verteilung und Abholung
75 gemeinsames Ausfüllen von Fragebogen
76 Panelbefragung
77 | | kombiniert|telefonische Ankündigung des Versandes von Fragebogen
78 Versand oder Überbringung des schriftlichen Fragebogens
79 telefonische Kontrolle evntuell telefonische Ergänzungsbefragung
80
81 Merkmal der Kommunikationsart:
82
83 * Wenig strukturiertes Interview
84 Interviewer hat Kontrolle, er arbeitet ohne Fragebogen, verfügt über einen hohen Freiheitsspielraum, da er die Anordnung oder Formulierung seiner Fragen dem Befragten jeweils individuell anpassen kann. Gesprächsführung ist flexibel.
85 Interviewer hört dem Befragten zu. Gespräch folgt nicht den Fragen des Interviewers, sondern die jeweils nächste Frage ergibt sich aus den Aussagen des Befragten. Forscher muss sorgfältig geschult sein. Ziel ist es „Sinnzusammenhänge“, also die Meinungsstrukturen des Befragten zu erfassen.
86 Wenig strukturiert bedeutet kein vorfixiertes Vorgehen des Forschers.
87 * Stark strukturierte Befragung
88 Fragebogen muss vor der Forschung konstruiert werden. Exakte und sorgfältige Vorgehensweise ist besonders wichtig weil Fragebogen die Freiheitsspielräume des Interviews und des Befragten stark einschränkt.
89 Fragebogen legt den Inhalt, die Anzahl und die Reihenfolge der Fragen fest. Inhalt, Anordnung und Auswahl der Fragen werden durch die theoretischem Problemstellung bestimmt.
90 * Teilstrukturierte Form der Befragung
91 Dabei handelt es sich um Gespräche, die aufgrund vorbereiteter und vor formulierter Fragen stattfinden, wobei die Abfolge der Fragen offen ist. Es wird ein Gesprächsleitfaden benutzt. Aus dem Gespräch ergeben sich neue Themen.
92
93 Stark strukturierte Befragungen sind ohne vorherige wenig oder teilstrukturierte Befragungen undenkbar.
94
95 Merkmal der Kommunikationsart:
96
97 Ob mündlich oder schriftlich befragt wird, hängt vom gesamten Forschungsverlauf ab. Bei persönlicher (mündlicher) Befragung ist durch den Interviewer immer auch ein "Verzerrungsfaktor" gegeben aber auch eine Regel-/Kontrollfunktion.
98
99 Interviewerverhalten:
100
101 * Weiches Interview
102 Interviewer spielt eine passive Rolle, er lässt dem Befragten den Gang des Gespräches bestimmen. Es wird angenommen, dass hier die Reaktionsmöglichkeiten des Befragten am höchsten sind.
103 * Hartes Interview
104 Fragen werden so schnell gestellt, wie sie der Proband erfassen und beantworten kann. Das hat den Vorteil, ihn zu spontanen Antworten ohne viel Überlegungen zu zwingen (erinnert an „Verhörtechnik“). Es strukturiert die Situation wohl am stärksten und ausgeprägtesten. Ist nur sinnvoll, wenn vorher ausgiebig explorative Befragungen stattgefunden haben.
105 * Neutrales Interview
106 Gefühle zwischen Interviewer und Befragten sollen möglichst ausgeschaltet sein. „Neutralität“ des Interviews versucht die Vergleichbarkeit der Informationen zu erhöhen.
107
108 ====== Anwendungsbereiche einzelner Befragungstypen ======
109
110 //Offene Konzepte – wenig strukturierte Befragung//
111
112 Wird zur Klärung von Zusammenhängen verwendet. Es ist das Hauptinstrument in qualitativ ausgerichteter Forschung. Gordon (1977) unterscheidet sieben Punkte, die beim offenen Konzept zu beachten sind:
113
114 1. Abgrenzung des Problems
115 1. Abfolge der Fragen
116 Fragen als Anlaufphase, entscheidende Fragen nicht Anfang
117 1. Relevante Antwortkategorien
118 1. Reichweite der Antwortkategorien
119 Bezieht sich auf den qualitativen Aspekt der Antwortkategorien.
120 1. Auffinden der richtigen Informanten
121 1. Sprachliche Besonderheiten
122 Viele soziale Gruppen entwickeln sprachliche Besonderheiten. Für die Durchführung einer Studie muss man diese Codes entschlüsseln, um die Fragen entsprechend zu formulieren.
123 1. Hemmschwellen der Kommunikation
124 Oft werden Fragen nicht oder bewusst falsch beantwortet weil bei den Befragten individuelle oder soziale Hemmschwellen bestehen.
125
126 //Befragung in Gruppen://
127
128 Gruppenbefragung: zum Beispiel wird ein Fragebogen in einer Gruppensituation ein einer Gruppensituation unter Anwesenheit eines Forschers beantwortet.
129
130 Gruppeninterview: Nach einem offenen Konzept lässt der Interviewer Fragen in einer Gruppensituation beantworten.
131
132 Gruppendiskussion: der Forscher beobachtet die freie Interaktion der Gruppenmitglieder zu einem gestellten Thema.. > sie können dazu verwendet werden, bestimmte Hemmschwellen abzubauen. Sie können spontan entstehen oder durch den Forscher angeregt werden, die Gruppe muss dies nur zulassen.
133
134 Gruppendiskussionen unterscheiden sich von Gruppenbefragungen dadurch, dass die Teilnehmer nicht nur Fragen des Forschers beantworten, sondern auch selber welche stellen.
135
136 //Leitfaden Befragung://
137
138 Mündlich werden Einzelpersonen anhand von Leitfaden befragt. Eine besondere Form stellen die Intensivinterviews dar. Sie unterscheiden sich von Leitfadeninterviews durch Dauer und Intensität. Das setzt eine hohe Bereitschaft des Befragten voraus und wird dort angewendet, wo es darum geht besonders individuell Erfahrungen zu eruieren.
139
140 Wesentlich bei Leitfadengesprächen ist die Fähigkeiten des Forschers, zentrale Fragen im geeigneten Moment zur Diskussion zu stellen.
141
142 Nachteile gegenüber standardisierten Interview:
143
144 * höhere Anforderungen an den Interviewer
145 * stärkere Interviewereinflüsse
146 * höhere Anforderung an Befragte
147 * höherer Zeitaufwand
148 * geringere Vergleichbarkeit der Ergebnisse -> schwierigere Auswertung
149
150 Expertenbefragung: können anhand von teilstrukturierten Leitfaden mündlich und schriftlich durchgeführt werden.
151
152 Delphi Methode: hier werden in der folgenden Fragerunde Ergebnisse, Schätzungen und Widersprüche aus der vorhergehenden Fragerunde zur Beurteilung gestellt. Wird v. a. in der Zukunftsforschung angewandt, wo es darum geht, zukünftige Entwicklungen durch Fachleute abzuschätzen zu lassen. Beeinflussungen durch andere ist dabei die Methode.
153
154 //Narratives Interview://
155
156 Hier wird weder Leitfaden, noch Fragebogen verwendet. Ziel dabei ist das Verstehen. Das Aufdecken von Sichtweisen und Handlungen von Personen, sowie deren Erklärungen aus eigenen sozialen Bedürfnissen. Von einem Interview im üblichen Sinne kann keine Rede sein. Es handelt sich um eine Forschungssituation, in der der Stimulus des Forschers darin besteht, eine „Erzählung eigenerlebter Geschichten“ in Gang zu bringen.
157
158 Phasen im Ablauf: Erzählphase – Rückgriffsphase – Bilanzphase.
159
160 //Fragebogen://
161
162 Die bekannteste Form der Befragung ist das Interview, das mündlich anhand eines stark strukturierten Fragebogens als Einzelinterview geführt wird.
163
164 Sonderform bei der Verwendung von Fragebögen, ist die Panelbefragung. Sie ermöglicht Längsschnitte. Eine repräsentative ausgewählte Gruppe wird wiederholt zum gleichen Thema befragt. Es werden die gleichen variablen (Instrument Fragebögen wird stabil gehalten) bei denselben Personen (Population wird stabil gehalten) untersucht. Diese Art der Befragung eignet sich vor allem für das Erfassen von Veränderungen der Einstellungen und wird vor allem im Bereich der Markt- und politischen Meinungsforschung verwendet,.
165
166 Häufiger verwendet werden bei der Befragung repräsentative Querschnittsuntersuchung.
167
168 Trenduntersuchungen: beinhalten ebenfalls die wiederholte Anwendungen derselben Fragen, beziehen sich jedoch nicht auf einen identischen Befragtenkreis.
169
170 ====== Standardisiertes - nicht-standardisiertes Interview ======
171
172 Unterschied: Verwendungsweise der Antwortkategorien
173
174 * standardisiert
175 Antworten in Kategorien zusammengefasst, um Vergleichbarkeit herzustellen
176 * nicht-standardisiert
177 Verzicht auf Kategorisierung der Antworten oder Kategorisierung später vollzogen.
178
179 Synonyme Verwendung von strukturiert/unstrukturiert, standardisiert/nicht-standardisiert, geschlossen/offen ist nicht zulässig.
180
181 * strukturiert/unstrukturiert -> Interviewsituation
182 * standardisiert/nicht-standardisiert -> Instrument
183 * geschlossen/offen -> einzelne Frage
184
185 Offene und geschlossene Frage:
186
187 * Offene Frage
188 Enthält keine festen Antwortkategorien. Die Befragten können Antwort völlig selbstständig formulieren.
189 * Geschlossene Frage
190 Dem befragten werden alle relevanten Antworten, nach Kategorien geordnet, vorgelegt.
191
192 Typen von geschlossenen Fragen:
193
194 * Identifikationstyp
195 Wer, wo, wann, wie viele oder welche?
196 * Selektionstyp
197 Frage mit vorgegebenen Alternativen
198 ** Alternativ-Frage -> zwei Antwortmöglichkeiten
199 ** Mehrfachauswahl-Frage -> mehr Antwortmöglichkeiten
200 Sonderform: Skala-Frage zur Messung von Werten, Meinungen Gefühle ...
201 * Ja-Nein-Typ
202
203 Direkte und indirekte Frage:
204
205 Indirekte Befragung versucht Gesprächssituation zu schaffen, in der auch über gefühls-/wertbeladene Probleme gesprochen werden kann.
206
207 Methoden:
208
209 * Assoziationsfragen: "Wenn Sie ... hören, woran denken Sie?"
210 * Fehler-Auswahl-Methode (Alle Antworten falsch, Richtung des Fehlers des Befragten gibt Auskunft über Einstellung)
211
212 Erwartung durch indirekte Fragen richtigere Antworten zu bekommen bisher nicht bestätigt.
213
214 Frage nach Zentralität von Meinungen:
215
216 Geben keine Kenntnis vom realen Sozialverhalten, wohl aber über wesentliche Beeinflussungsfaktoren sozialen Verhaltens.
217
218 Kategorisierung:
219
220 * Fragen nach Werthaltung
221 * Fragen nach der Klärung von Gefühlen (ungeklärter Zusammenhang zw. Werten u. Gefühlen, Übergang fließend)
222 * Fragen nach Verhaltensregeln
223 * Fragen nach vergangenem und aktuellem Verhalten
224 * Fragen nach der Rationalisierung von Werten und Verhaltensregeln bzw. Verhaltensweisen - Eigenschaften von Befragten
225
226 Faustregeln bei Frageformulierung (Schnell 1999):
227
228 * Fragen sollen einfache Wörter enthalten
229 * Fragen sollen kurz formuliert werden
230 * Fragen sollen konkret sein
231 * Fragen sollen keine bestimmte Beantwortung provozieren
232 * Fragen sollen neutral formuliert sein (keine "belasteten" Worte)
233 * Fragen sollen hypothetisch formuliert werden
234 * Fragen sollen sich nur auf den Sachverhalt beziehen
235 * Fragen sollen keine doppelten Negationen enthalten
236 * Fragen sollen Befragte nicht überfordern
237 * Fragen sollen zumindest formal "balanciert" sein.
238
239 ===== Weitere Befragungsstrategien =====
240
241 ====== Schriftliche Befragung ======
242
243 //Fragebogen, der meistens postalisch versendet wird.//
244
245 Vorteile schriftlicher Befragung:
246
247 * finanzielle Art – ist kostengünstiger
248 * Zeit: innerhalb kürzester Zeit, kann mit weniger Personal, eine größere Zahl von Befragten erreicht werden
249
250 Nachteile
251
252 * Befragungssituation ist nicht (kaum hinreichend) kontrollierbar
253 * Jede Frage muss zweifelsfrei verständlich sein
254 * Zahl der Ausfälle ist erheblich
255
256 Sie bedarf einer besonderen sorgfältigen Organisation. Fragebogen muss leicht ausgefüllt werden können.
257
258 //Telefoninterviews://
259
260 Die Markt und Meinungsforschung wickelt heute einen Großteil ihrer Umfragen durch Telefoninterviews ab (Schätzung zw. 50-90%)
261
262 Vorteile:
263
264 * erhöhte Erreichbarkeit
265 * rasche Verarbeitungsmöglichkeit der erhaltenen Daten
266 * Relativ rascher Ersatz für Ausfälle
267
268 Nachteile:
269
270 * erschwerte Kontrolle der Situation Interview (man weiß nicht wer wirklich antwortet)
271 * Erinnerungsstützen in Form von Tabellen (erinnert an Artefakte)
272 * Begrenzung auf relativ einfache Fragengegenstände
273 * Fast gänzliche Ausrichtung auf stark strukturierte Stimuli
274
275 ====== Kombinierte Verfahren ======
276
277 * Versand von Fragebogen bei telefonischer Befragung
278 * Delphi-Methode
279
280 ====== Computergestützte Verfahren ======
281
282 * Internet und Online-Befragungen
283
284 ===== Sind Antworten Fakten oder Artefakte =====
285
286 Jede Befragung beinhaltet Aussagen über die soziale Wirklichkeit, erfasst aber diese soziale Wirklichkeit selbst nur ausschnittsweise. Die Wissenschaftlichkeit der Befragung liegt in der Systematik der Kontrolle der sie begleitenden Vorgänge.