Pryz08Chap5Auswertung

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Auswertung

Grounded-Theory-Methodologie

Am frühesten Entwickelte Verfahren (Glaser/Strauss 1965). Reflektiert den Forschungsprozess als Ganzes am umfassendsten. Grundanliegen: Verschränkung von empirischer Forschung und Theoriebildung. Theorie soll aus Daten generiert und nicht in Form fertiger Konzepte an Daten herangetragen werden. Bezug zum symbolischen Interaktionismus.

Bevorzugte mögliche Erhebungsinstrumente: "All is data". Schwerpunkt nicht auf Form der Erhebung, sondern am Prozess des Sampling und der Theoriebildung, die paralell organisiert sind.

Theoretische Einordnung
  • Induktion versus Deduktion
    Anfänglich Betonung des Ansatzes als "induktiv". -> In Forschungslogik, Abfolge von Induktion und Deduktion charakteristisch, gehören beide in den Forschungsprozess.
  • Handlungstheoretische Fundierung
    Betonung der Veränderbarkeit von Phänomenen (change), Gegen deterministische Vorstellungen ebenso wie gegen strikten Nondeterminismus -> Akteursorientierung

Theoretische Grundlagen der Grounded-Theory wurden von Verfassern nicht im Detail entfaltet.

Theoretische Grundprinzipien und methodische Umsetzung

Grundprinzipien:

  1. Wechselprozess von Datenerhebung, Auswertung und Theoretischem Sampling
    Sampling -> Theoriegenerierung, Entwicklung von Konzepten und Kategorien.
  2. Theorieorientiertes Kodiern
    Parallell zur Erhebung. Folgerung von Indikatoren auf Konzepte -> Konzepte die sich auf dasselbe Phänomen beziehen -> Kategorien (höherwertige, abstraktere Konzepte, Ecksteine der Theorie)  -> Theorie (Hypothesen) -> Wird im Verlauf der Forschung auf Robustheit überprüft. Elemente der Verifikation von Theorien:
    • Verifikation der Hypothese am Einzelfall
    • Verifikation der Hypothese an anderen Fällen
    • Verifikation der Hypothese ex negativo
  3. Ständiges Vergleichen
    Grundlegendes Prinzip der fortschreitenden Analyse. Ohne Vergleich keine Theorieentwicklung.
  4. Schreiben theoretischer Memos
    Geht Hand in Hand mit Hypothesen und Theoriegenerierung
  5. Relationierung von Datenerhebung, Kodieren und Memoschreiben im gesamten Forschungsprozess
    Integriert die vier zuvor genannten Prinzipien. Kein linearer Forschungsprozess -> wechselseitige Beeinflussung.

Kodierparadigma:

Kodieren: Überführung empirischer Daten in Konzepte und Kategorien

  • offenes Kodieren
    Extensive Analyse des empirischen Materials, Generierung von Konzepten. Leitet neue Schritte ein.
  • axiales Kodieren
    Genauere Ausarbeitung von Kategorien, Herausarbeitung von Schlüsselkategorien und des Kerns der Theorie
  • selektives Kodieren
    Beschreibt Vorgang des Kodierens auf Schlüsselkategorie hin, Dient der Integration von Theorien
Schritte der Auswertung
  1. Stellen generativer Fragen
    Im Zuge des Nachdenkens über die Forschungsfrage und der Untersuchung ersten Datenmaterials
  2. Herstellung vorläufiger Zusammenhänge durch Kodierung
  3. Verifizieren der Theorie
    Durch Überprüfung der vorläufigen Zusammenhänge
  4. Verknüpfung von Kodierung und Datenerhebung (Theoretical Sampling)
  5. Integration der Theorie
    Herausarbeitung der Schlüsselkategorien
  6. Ausbau der Theorie mit Hilfe von Theoriememos
  7. Berücksichtigung des temporalen und relationales Aspekts "der Triade der analytischen Operation"
    Daten erheben -> Kodieren -> Memo schreiben
  8. Füllen von Lücken in der theoretischen Integration beim Schreiben des Forschungsberichtes
Narrationsanalyse

Explizit erzähltheoretisch fundiert. Unterscheidung verschiedener Sinnebenen (Sachverhaltsdarstellung, dargestellter Prozess) und Interpretation des Bezugs der Sinnebenen. Aus Umfeld des symbolischen Interaktionismus, der Ethnomethodologie und der Wissensoziologie (Schütz, Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1973). Im Rahmen eines Projekts zur Erforschung kommunaler Machtstrukturen entstanden.

Bevorzugte Erhebungsinstumente: Auswertung narrativer Interviews.

Theoretische Einordnung

Wesentliche Ausgangspunkte bezogen auf theoretische Grundlagen (Wissenssoziologie, symbolischer Interaktionismus (Schütze)):

  • konstitutiver Beitrag von Sprache zur Erzeugung, Aufrechterhaltung und Veränderung gesellschaflticher Realität
  • kodifizierte Dinghaftigkeit der sozialen Realität kraft sprachlicher Klassifikation
  • Speicherung des Alltagswissens in Typisierungen durch das implizite Wörterbuch der alltäglichen Umgangssprache
  • Herrschafts-, Unterdrückungs- und Ausblendungsfunktion
Theoretische Grundprinzipien und methodische Umsetzung
  • Erzähltheoretische Fundierung der Narrationsanalyse
    Erzählungen eigenerlebter Erfahrungen spiegeln Orientierungsstruktur des faktischen Handelns. Zeigt prozessuale Erscheinungen, die in dreierlei Hinsicht näher bestimmt werden können:
    • subjektive Perspektive
      individuelles oder kollektives Handeln
    • Langfristigkeit
    • doppelte Aspekthaftikeit
      Prozesse weisen Außen-/Innenaspekt auf.
  • Formale Strukturen von Erzählungen, Argumentationen und Beschreibungen
    Woran erkennt man Erzählungen:
    • Temporale Verknüpfung
    • Strukturelle Aufbau der Erzählung
      Abstrakt (Worum handelt es sich) -> Orientierung (Wer, wann, was, wo) -> Handlungskomplikation (Was passierte dann) -> Evaluation (Warum) -> Resultat -> Koda (Brückenschlag zur Gegenwart)
    • Woran erkennt man Argumentationen (Evaluationen):
      • Aussagemodus (argumentativ/bewertend)
      • Formale Merkmale (keine zeitlich kausale Entwicklung)
      • Zeitbezug (Zeitbezug ändert sich -> Gegenwartsstandpunkt)
    • Woran erkennt man Beschreibungen:
      • Einschübe in Form von Hintergrundkonstruktionen.
      • Träger für Eigenschaften und soziale Beziehungen
Schritte der Auswertung
  1. Formale Textanalyse
    Bereinigen des Textes von nicht narrativen Einschüben (Beschreibungen, Argumentationen), die nicht indexikal formuliert sind. Unterteilung in Segmente.
  2. Strukturelle inhaltliche Beschreibung
    Herausarbeiten der Prozessstrukturen des Lebenslaufs -> Erzählketten und thematische Kreise -> Rekonstruktion des Entwicklungspfades -> analytische Kategorien zur Charakterisierung der Prozesse und Strukturen.
  3. Analytische Abstraktion
    Systematisches in Beziehung setzen der getroffenen Strukturaussagen. Prozessstrukturen (Schütze):
    • Verlaufskurve (Fallkurven: negative Verläufe, Steigkurven: positive Verläufe)
    • biographische Handlungsschema
    • institutionelle Ablaufmuster der Lebensgeschichte
    • Wandlungsprozesse
  4. Wissensanalyse
    Bezug der Theorie der Interviewten auf die erzählten lebensgeschichtlichen Prozesse.
  5. Kontrastive Vergleiche unterschiedlicher Interviewtexte
    Fallvergleich im Rahmen eines Theoretical Sampling. Minimaler Kontrast -> fallspezifische Befunde, Maximaler Kontrast -> alternative Strukturen. Entwicklung gemeinsamer Elementkategorien.
  6. Konstruktion eines theoretischen Modells
Objektive Hermeneutik

Objektive Hermeneutik und sequenzanalytisches Verfahren (Oevermann 1970). Ausgangspunkt: quantitative Erhebungs- und Auswertungsverfahren besitzen bei komplexen Fragestellungen nur begrenzte Erklärungskraft. Möglichkeit des objektiven Verstehens/Entschlüsselns von objektivem (latentem) Sinn. Es wird nicht innere Wirklichkeit untersucht, sondern das, was sich objektiviert und protokollierbare Spuren hinterlässt. Soziales Handeln -> regelerzeugtes Handeln -> Regelhaftigkeit anhand von Handlungs-/Interaktionsprotokollen aufzeigen.

Bevorzugte Erhebungsinstrumente: keine bevorzugten Erhebungsinstrumente entwickelt. "nicht-standardisierte, natürliche oder wörtliche Protokolle des Ablaufs sozialer Interaktion und Dokumente ihrer Objektivation".

Theoretische Grundprinzipien und methodische Umsetzung
  • Analyseebene
    Es werden vier Analyseebenen unterschieden:
    • objektiver (latenter) Sinn
    • vom Akteur subjektiv intentional realisierter Sinn
    • Fallstruktur (Verhältnis zwischen diesen Ebenen)
    • Genes der Fallstruktur
  • Interpretationsregeln
    • Grundhaltung: Selektivität erschließen
      Sachverhalte werden als kontingent und selektiv interpretiert, die dem Alltagsvertändnis nach als "normal" eingestuft werden. -> erschließen sozialer Regelhaftigkeit
    • Sequentielle Interpretation
      Texte werden sequentiell (Sinneinheit für Sinneinheit) interpretiert.
    • Gedankenexperimentelle Explikation von Lesarten und Kontexvariation
      Interpretation der Bedeutung einer Textstelle -> Verdichtung verschiedener möglicher Bedeutungen zu Lesarten. Kontextvariation um Kontext einer Äußerung bewusst zu verlassen -> spezifische Bedeutung erfassen
    • Sparsamkeitsregel
      Lesearten die ohne großen Zusatzaufwand mit Text kompatibel sind
    • Wörtlichkeit der Interpretation
    • Totalität
      Auch auf den ersten Blick unpassende Textstellen bei Interpretation berücksichtigen
    • Unterscheidung von äußerem und innerem Kontext der Handlung
    • Interpretation in einer Interpretationsgruppe
      Hilft bei der Entwicklung von Lesarten
    • Nachweis und Falsifikation von Strukturhypothesen
    • Strukturgeneralisierung
Schritte der Interpretation

Nicht unabhängig vom Material. Vor erstem Interpretationsschritt -> Forschungsfrage. Für Interpretation lebensgeschichtlicher Erzählungen:

  1. Interpretation der äußeren biographischen/objektiven Daten
    Zur Entwicklung  von  Fallstrukturhypothesen -> Formulierung von Forschungsfragen -> Folie für Feinanalyse
  2. Segmentierung des Interviewtranskripts/Interaktionsprotokolls
    Verzeichnis der Themenabfolge mit kurzer Inhaltsangabe. -> Auswahl der Elemente für Feinanalyse
  3. Feinanalyse des Interviewbeginns
    Interpretationsgang der Feinanalyse
    1. Charakterisierung des Systemzustandes zu Beginn des Interaktes/Problembestimmung
    2. Paraphrase der Bedeutung des Interaktes
    3. Feststellung der Selektivität des Interaktes
    4. Charakterisierung der sprachlichen Merkmale des Interaktes
    5. Explikation der Intention des agierenden Subjekts
    6. Explikation der objektiven Bedeutung/Motive des Interaktes und seiner objektiven Konsequenzen
    7. Lesartenbildung
    8. Vergleich der allgemeinen Kontextbedingungen der Lesarten mit dem konkreten Kontext
    9. Rekonstruktion der objektiven Sinnstruktur der ganzen Szene
    10. Formulierung der Fallstruktur
    11. Explikation allgemeiner theoretischer Zusammenhänge
  4. Feinanalyse weiterer Interviewsequenzen
  5. Überprüfung der Fallstruktur auf Modifikation und Falsifikation
  6. Interpretation weiterer Fälle
Dokumentarische Methode

Verfahren der Interpretation von Kulturobjektivationen sprachlicher, bildlicher und gegenständlicher Natur. In Handlungspraxis und Kollektivität verankert. Geht auf Mannheim zurück (1964) -> Wissensoziologie, alternative zur naturwissenschaftlichen Logik des Erkenntnisgewinns in den Sozialwissenschaften. Entwicklung im Zuge der Entwicklung des Gruppendiskussionsverfahrens (Bohnsack 1983).

Bevorzugte Erhebungsinstrumente: Gruppendiskussion. Erstes Design schloss Methodentriangulation: teilnehmende Beobachtung, biographische Interviews, Gruppendiskussion ein. Analyse von Bildern.

Theoretische Einordnung

Vermittelnde Position zw. subjektivistischer Herangehensweise qualitativer Verfahren und objektivistischem Zugang quantitativer Verfahren. Unterscheidung nicht zwischen subjektiv/objektiv sondern zwischen handlungspraktischem Wissen und kommunikativ generalisiertem Wissen. -> Wie der Herstellung sozialer Realität

Beobachterposition -> Standortverbundenheit von Wissen und Denken -> soziales Phänomen wird immer auf Grundlage der Erfahrungen, des Standorts des Wissenschaftlers erfasst. -> wird methodisch Eingebunden.

Theoretische Abstraktion durch Gegeneinanderhalten von empirischen Gegebenheiten -> komparative Analyse -> je mehr Fälle, desto tiefer theoretische Abstraktion.

Theoretische Grundprinzipien und methodische Umsetzung
  • Immanenter und dokumentarischer Sinngehalt
  • Einklammerung des Geltungscharakters
  • Konjunktiver Erfahrungsraum und Kollektivität
    Kollektive Ebene der individuellen immer vorgeordnet. Konjunktives Wissen -> atheoretisches Wissen -> in Handlungspraxis eingelassen. Kontagion: existentielle Aufnahme des Gegenübers in das Bewusstsein (Mannheim 1980) -> begründet Primordialität: Vorgeordnetsein der Kollektivität gegenüber der Individualität.
  • Atheoretisches Wissen, Verkörperung und Handlungspraxis
  • Sprache: kommunikativ-gerneralisierte und konjunktive Ebene
    "Man erklärt sich nichts, sondern versteht einander."
  • Konjunktiver Erfahrungsraum als theoretischer Grundbegriff
  • Dokumentarische Interpretation: Metaphorik, Homologie, Performanz und Sequenzialität
    Bei Suche nach dem Dokumentsinn hilft ein grundsätzlich sequentielles Vorgehen: drei Sinneinheiten -> Entschlüsselung der Metaphorik, Strukturprinzipien der Performanz (interaktive Hervorbringung des Gesprächs), auf homologer Weise strukturidentische Wiederholungen
Schritte der Interpretation: Auswertungspraxis (Texte)
  1. Thematischer Verlauf, Auswahl von Passagen Transkription
    Auswahl aufgrund formaler und inhaltlicher Gesichtspunkte:
    • formal: Eingangs- oder Anfangspassage, Passagen die sich formal vom Rest des Diskurses unterscheiden ("Fokussierungsmetaphern")
    • inhaltlich: Für die Forschungsfrage inhaltlich relevant
  2. Formulierende Interpretation
    Zusammenfassende Formulierung des kommunikativ-generalisierten Sinngehalts. Funktion:
    • Schritt des Sinnverstehens wird intersubjektiv überprüfbar gemacht
    • Trennung der Sinnebenen (immanent/dokumentarisch). Was hier festgehalten wird ist nicht mehr Gegenstand des nächsten Interpretationsschrittes.
    • Blick auf kollektive Hervorbringung des Textes.
  3. Reflektierende Interpretation
    Zielt auf den dokumentarischen Sinngehalt: Orientierungsgehalt-> positiver Horizont -> von negativem Gegenhorizont begrenzt. Realisierungsmöglichkeiten -> Enaktierungpotential. Interpretation erfolgt durch Sequenzanalyse -> Analyse der Abfolge der Äußerungen -> Diskursbewegung (Proposition, Elaboration, Konklusion), Diskursorganisation (parallel/antithetisch) -> Suche nach Homologien.
  4. Komparative Analyse und Typenbildung
    Abstraktion des bereits gefundenen Orientierungsrahmens. Auswahl thematisch ähnlicher Passagen-> minimaler/maximaler Kontrast -> Basistypik (sinngenetische Typenbildung) -> Genese von Orientierungen (soziogenetische Typenbildung) -> Abgrenzung der Basistypik von anderen Typiken