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1 == Auswertung ==
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5 ===== Grounded-Theory-Methodologie =====
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7 Am frühesten Entwickelte Verfahren (Glaser/Strauss 1965). Reflektiert den Forschungsprozess als Ganzes am umfassendsten. Grundanliegen: Verschränkung von empirischer Forschung und Theoriebildung. Theorie soll aus Daten generiert und nicht in Form fertiger Konzepte an Daten herangetragen werden. Bezug zum symbolischen Interaktionismus.
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9 Bevorzugte mögliche Erhebungsinstrumente: "All is data". Schwerpunkt nicht auf Form der Erhebung, sondern am Prozess des Sampling und der Theoriebildung, die paralell organisiert sind.
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11 ====== Theoretische Einordnung ======
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13 * Induktion versus Deduktion
14 Anfänglich Betonung des Ansatzes als "induktiv". -> In Forschungslogik, Abfolge von Induktion und Deduktion charakteristisch, gehören beide in den Forschungsprozess.
15 * Handlungstheoretische Fundierung
16 Betonung der Veränderbarkeit von Phänomenen (change), Gegen deterministische Vorstellungen ebenso wie gegen strikten Nondeterminismus -> Akteursorientierung
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18 Theoretische Grundlagen der Grounded-Theory wurden von Verfassern nicht im Detail entfaltet.
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20 ====== Theoretische Grundprinzipien und methodische Umsetzung ======
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22 Grundprinzipien:
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24 1. Wechselprozess von Datenerhebung, Auswertung und Theoretischem Sampling
25 Sampling -> Theoriegenerierung, Entwicklung von Konzepten und Kategorien.
26 1. Theorieorientiertes Kodiern
27 Parallell zur Erhebung. Folgerung von Indikatoren auf Konzepte -> Konzepte die sich auf dasselbe Phänomen beziehen -> Kategorien (höherwertige, abstraktere Konzepte, Ecksteine der Theorie) -> Theorie (Hypothesen) -> Wird im Verlauf der Forschung auf Robustheit überprüft. Elemente der Verifikation von Theorien:
28 1*. Verifikation der Hypothese am Einzelfall
29 1*. Verifikation der Hypothese an anderen Fällen
30 1*. Verifikation der Hypothese ex negativo
31 1. Ständiges Vergleichen
32 Grundlegendes Prinzip der fortschreitenden Analyse. Ohne Vergleich keine Theorieentwicklung.
33 1. Schreiben theoretischer Memos
34 Geht Hand in Hand mit Hypothesen und Theoriegenerierung
35 1. Relationierung von Datenerhebung, Kodieren und Memoschreiben im gesamten Forschungsprozess
36 Integriert die vier zuvor genannten Prinzipien. Kein linearer Forschungsprozess -> wechselseitige Beeinflussung.
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38 Kodierparadigma:
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40 Kodieren: Überführung empirischer Daten in Konzepte und Kategorien
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42 * offenes Kodieren
43 Extensive Analyse des empirischen Materials, Generierung von Konzepten. Leitet neue Schritte ein.
44 * axiales Kodieren
45 Genauere Ausarbeitung von Kategorien, Herausarbeitung von Schlüsselkategorien und des Kerns der Theorie
46 * selektives Kodieren
47 Beschreibt Vorgang des Kodierens auf Schlüsselkategorie hin, Dient der Integration von Theorien
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49 ====== Schritte der Auswertung ======
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51 1. Stellen generativer Fragen
52 Im Zuge des Nachdenkens über die Forschungsfrage und der Untersuchung ersten Datenmaterials
53 1. Herstellung vorläufiger Zusammenhänge durch Kodierung
54 1. Verifizieren der Theorie
55 Durch Überprüfung der vorläufigen Zusammenhänge
56 1. Verknüpfung von Kodierung und Datenerhebung (Theoretical Sampling)
57 1. Integration der Theorie
58 Herausarbeitung der Schlüsselkategorien
59 1. Ausbau der Theorie mit Hilfe von Theoriememos
60 1. Berücksichtigung des temporalen und relationales Aspekts "der Triade der analytischen Operation"
61 Daten erheben -> Kodieren -> Memo schreiben
62 1. Füllen von Lücken in der theoretischen Integration beim Schreiben des Forschungsberichtes
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64 ===== Narrationsanalyse =====
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66 Explizit erzähltheoretisch fundiert. Unterscheidung verschiedener Sinnebenen (Sachverhaltsdarstellung, dargestellter Prozess) und Interpretation des Bezugs der Sinnebenen. Aus Umfeld des symbolischen Interaktionismus, der Ethnomethodologie und der Wissensoziologie (Schütz, Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1973). Im Rahmen eines Projekts zur Erforschung kommunaler Machtstrukturen entstanden.
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68 Bevorzugte Erhebungsinstumente: Auswertung narrativer Interviews.
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70 ====== Theoretische Einordnung ======
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72 Wesentliche Ausgangspunkte bezogen auf theoretische Grundlagen (Wissenssoziologie, symbolischer Interaktionismus (Schütze)):
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74 * konstitutiver Beitrag von Sprache zur Erzeugung, Aufrechterhaltung und Veränderung gesellschaflticher Realität
75 * kodifizierte Dinghaftigkeit der sozialen Realität kraft sprachlicher Klassifikation
76 * Speicherung des Alltagswissens in Typisierungen durch das implizite Wörterbuch der alltäglichen Umgangssprache
77 * Herrschafts-, Unterdrückungs- und Ausblendungsfunktion
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79 ====== Theoretische Grundprinzipien und methodische Umsetzung ======
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81 * Erzähltheoretische Fundierung der Narrationsanalyse
82 Erzählungen eigenerlebter Erfahrungen spiegeln Orientierungsstruktur des faktischen Handelns. Zeigt prozessuale Erscheinungen, die in dreierlei Hinsicht näher bestimmt werden können:
83 ** subjektive Perspektive
84 individuelles oder kollektives Handeln
85 ** Langfristigkeit
86 ** doppelte Aspekthaftikeit
87 Prozesse weisen Außen-/Innenaspekt auf.
88 * Formale Strukturen von Erzählungen, Argumentationen und Beschreibungen
89 Woran erkennt man Erzählungen:
90 ** Temporale Verknüpfung
91 ** Strukturelle Aufbau der Erzählung
92 Abstrakt (Worum handelt es sich) -> Orientierung (Wer, wann, was, wo) -> Handlungskomplikation (Was passierte dann) -> Evaluation (Warum) -> Resultat -> Koda (Brückenschlag zur Gegenwart)
93 ** Woran erkennt man Argumentationen (Evaluationen):
94 *** Aussagemodus (argumentativ/bewertend)
95 *** Formale Merkmale (keine zeitlich kausale Entwicklung)
96 *** Zeitbezug (Zeitbezug ändert sich -> Gegenwartsstandpunkt)
97 ** Woran erkennt man Beschreibungen:
98 *** Einschübe in Form von Hintergrundkonstruktionen.
99 *** Träger für Eigenschaften und soziale Beziehungen
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101 ====== Schritte der Auswertung ======
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103 1. Formale Textanalyse
104 Bereinigen des Textes von nicht narrativen Einschüben (Beschreibungen, Argumentationen), die nicht indexikal formuliert sind. Unterteilung in Segmente.
105 1. Strukturelle inhaltliche Beschreibung
106 Herausarbeiten der Prozessstrukturen des Lebenslaufs -> Erzählketten und thematische Kreise -> Rekonstruktion des Entwicklungspfades -> analytische Kategorien zur Charakterisierung der Prozesse und Strukturen.
107 1. Analytische Abstraktion
108 Systematisches in Beziehung setzen der getroffenen Strukturaussagen. Prozessstrukturen (Schütze):
109 1*. Verlaufskurve (Fallkurven: negative Verläufe, Steigkurven: positive Verläufe)
110 1*. biographische Handlungsschema
111 1*. institutionelle Ablaufmuster der Lebensgeschichte
112 1*. Wandlungsprozesse
113 1. Wissensanalyse
114 Bezug der Theorie der Interviewten auf die erzählten lebensgeschichtlichen Prozesse.
115 1. Kontrastive Vergleiche unterschiedlicher Interviewtexte
116 Fallvergleich im Rahmen eines Theoretical Sampling. Minimaler Kontrast -> fallspezifische Befunde, Maximaler Kontrast -> alternative Strukturen. Entwicklung gemeinsamer Elementkategorien.
117 1. Konstruktion eines theoretischen Modells
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119 ===== Objektive Hermeneutik =====
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121 Objektive Hermeneutik und sequenzanalytisches Verfahren (Oevermann 1970). Ausgangspunkt: quantitative Erhebungs- und Auswertungsverfahren besitzen bei komplexen Fragestellungen nur begrenzte Erklärungskraft. Möglichkeit des objektiven Verstehens/Entschlüsselns von objektivem (latentem) Sinn. Es wird nicht innere Wirklichkeit untersucht, sondern das, was sich objektiviert und protokollierbare Spuren hinterlässt. Soziales Handeln -> regelerzeugtes Handeln -> Regelhaftigkeit anhand von Handlungs-/Interaktionsprotokollen aufzeigen.
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123 Bevorzugte Erhebungsinstrumente: keine bevorzugten Erhebungsinstrumente entwickelt. "nicht-standardisierte, natürliche oder wörtliche Protokolle des Ablaufs sozialer Interaktion und Dokumente ihrer Objektivation".
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125 ====== Theoretische Grundprinzipien und methodische Umsetzung ======
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127 * Analyseebene
128 Es werden vier Analyseebenen unterschieden:
129 ** objektiver (latenter) Sinn
130 ** vom Akteur subjektiv intentional realisierter Sinn
131 ** Fallstruktur (Verhältnis zwischen diesen Ebenen)
132 ** Genes der Fallstruktur
133 * Interpretationsregeln
134 ** Grundhaltung: Selektivität erschließen
135 Sachverhalte werden als kontingent und selektiv interpretiert, die dem Alltagsvertändnis nach als "normal" eingestuft werden. -> erschließen sozialer Regelhaftigkeit
136 ** Sequentielle Interpretation
137 Texte werden sequentiell (Sinneinheit für Sinneinheit) interpretiert.
138 ** Gedankenexperimentelle Explikation von Lesarten und Kontexvariation
139 Interpretation der Bedeutung einer Textstelle -> Verdichtung verschiedener möglicher Bedeutungen zu Lesarten. Kontextvariation um Kontext einer Äußerung bewusst zu verlassen -> spezifische Bedeutung erfassen
140 ** Sparsamkeitsregel
141 Lesearten die ohne großen Zusatzaufwand mit Text kompatibel sind
142 ** Wörtlichkeit der Interpretation
143 ** Totalität
144 Auch auf den ersten Blick unpassende Textstellen bei Interpretation berücksichtigen
145 ** Unterscheidung von äußerem und innerem Kontext der Handlung
146 ** Interpretation in einer Interpretationsgruppe
147 Hilft bei der Entwicklung von Lesarten
148 ** Nachweis und Falsifikation von Strukturhypothesen
149 ** Strukturgeneralisierung
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151 ====== Schritte der Interpretation ======
152
153 Nicht unabhängig vom Material. Vor erstem Interpretationsschritt -> Forschungsfrage. Für Interpretation lebensgeschichtlicher Erzählungen:
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155 1. Interpretation der äußeren biographischen/objektiven Daten
156 Zur Entwicklung von Fallstrukturhypothesen -> Formulierung von Forschungsfragen -> Folie für Feinanalyse
157 1. Segmentierung des Interviewtranskripts/Interaktionsprotokolls
158 Verzeichnis der Themenabfolge mit kurzer Inhaltsangabe. -> Auswahl der Elemente für Feinanalyse
159 1. Feinanalyse des Interviewbeginns
160 Interpretationsgang der Feinanalyse
161 11. Charakterisierung des Systemzustandes zu Beginn des Interaktes/Problembestimmung
162 11. Paraphrase der Bedeutung des Interaktes
163 11. Feststellung der Selektivität des Interaktes
164 11. Charakterisierung der sprachlichen Merkmale des Interaktes
165 11. Explikation der Intention des agierenden Subjekts
166 11. Explikation der objektiven Bedeutung/Motive des Interaktes und seiner objektiven Konsequenzen
167 11. Lesartenbildung
168 11. Vergleich der allgemeinen Kontextbedingungen der Lesarten mit dem konkreten Kontext
169 11. Rekonstruktion der objektiven Sinnstruktur der ganzen Szene
170 11. Formulierung der Fallstruktur
171 11. Explikation allgemeiner theoretischer Zusammenhänge
172 1. Feinanalyse weiterer Interviewsequenzen
173 1. Überprüfung der Fallstruktur auf Modifikation und Falsifikation
174 1. Interpretation weiterer Fälle
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176 ===== Dokumentarische Methode =====
177
178 Verfahren der Interpretation von Kulturobjektivationen sprachlicher, bildlicher und gegenständlicher Natur. In Handlungspraxis und Kollektivität verankert. Geht auf Mannheim zurück (1964) -> Wissensoziologie, alternative zur naturwissenschaftlichen Logik des Erkenntnisgewinns in den Sozialwissenschaften. Entwicklung im Zuge der Entwicklung des Gruppendiskussionsverfahrens (Bohnsack 1983).
179
180 Bevorzugte Erhebungsinstrumente: Gruppendiskussion. Erstes Design schloss Methodentriangulation: teilnehmende Beobachtung, biographische Interviews, Gruppendiskussion ein. Analyse von Bildern.
181
182 ====== Theoretische Einordnung ======
183
184 Vermittelnde Position zw. subjektivistischer Herangehensweise qualitativer Verfahren und objektivistischem Zugang quantitativer Verfahren. Unterscheidung nicht zwischen subjektiv/objektiv sondern zwischen handlungspraktischem Wissen und kommunikativ generalisiertem Wissen. -> Wie der Herstellung sozialer Realität
185
186 Beobachterposition -> Standortverbundenheit von Wissen und Denken -> soziales Phänomen wird immer auf Grundlage der Erfahrungen, des Standorts des Wissenschaftlers erfasst. -> wird methodisch Eingebunden.
187
188 Theoretische Abstraktion durch Gegeneinanderhalten von empirischen Gegebenheiten -> komparative Analyse -> je mehr Fälle, desto tiefer theoretische Abstraktion.
189
190 ====== Theoretische Grundprinzipien und methodische Umsetzung ======
191
192 * Immanenter und dokumentarischer Sinngehalt
193 * Einklammerung des Geltungscharakters
194 * Konjunktiver Erfahrungsraum und Kollektivität
195 Kollektive Ebene der individuellen immer vorgeordnet. Konjunktives Wissen -> atheoretisches Wissen -> in Handlungspraxis eingelassen. Kontagion: existentielle Aufnahme des Gegenübers in das Bewusstsein (Mannheim 1980) -> begründet Primordialität: Vorgeordnetsein der Kollektivität gegenüber der Individualität.
196 * Atheoretisches Wissen, Verkörperung und Handlungspraxis
197 * Sprache: kommunikativ-gerneralisierte und konjunktive Ebene
198 "Man erklärt sich nichts, sondern versteht einander."
199 * Konjunktiver Erfahrungsraum als theoretischer Grundbegriff
200 * Dokumentarische Interpretation: Metaphorik, Homologie, Performanz und Sequenzialität
201 Bei Suche nach dem Dokumentsinn hilft ein grundsätzlich sequentielles Vorgehen: drei Sinneinheiten -> Entschlüsselung der Metaphorik, Strukturprinzipien der Performanz (interaktive Hervorbringung des Gesprächs), auf homologer Weise strukturidentische Wiederholungen
202
203 ===== Schritte der Interpretation: Auswertungspraxis (Texte) =====
204
205 1. Thematischer Verlauf, Auswahl von Passagen Transkription
206 Auswahl aufgrund formaler und inhaltlicher Gesichtspunkte:
207 1*. formal: Eingangs- oder Anfangspassage, Passagen die sich formal vom Rest des Diskurses unterscheiden ("Fokussierungsmetaphern")
208 1*. inhaltlich: Für die Forschungsfrage inhaltlich relevant
209 1. Formulierende Interpretation
210 Zusammenfassende Formulierung des kommunikativ-generalisierten Sinngehalts. Funktion:
211 1*. Schritt des Sinnverstehens wird intersubjektiv überprüfbar gemacht
212 1*. Trennung der Sinnebenen (immanent/dokumentarisch). Was hier festgehalten wird ist nicht mehr Gegenstand des nächsten Interpretationsschrittes.
213 1*. Blick auf kollektive Hervorbringung des Textes.
214 1. Reflektierende Interpretation
215 Zielt auf den dokumentarischen Sinngehalt: Orientierungsgehalt-> positiver Horizont -> von negativem Gegenhorizont begrenzt. Realisierungsmöglichkeiten -> Enaktierungpotential. Interpretation erfolgt durch Sequenzanalyse -> Analyse der Abfolge der Äußerungen -> [[Diskursbewegung>>Lit.MMDiskursorganisationBegriffe]] (Proposition, Elaboration, Konklusion), [[Diskursorganisation>>Lit.MMDiskursorganisationModi]] (parallel/antithetisch) -> Suche nach Homologien.
216 1. Komparative Analyse und Typenbildung
217 Abstraktion des bereits gefundenen Orientierungsrahmens. Auswahl thematisch ähnlicher Passagen-> minimaler/maximaler Kontrast -> Basistypik (sinngenetische Typenbildung) -> Genese von Orientierungen (soziogenetische Typenbildung) -> Abgrenzung der Basistypik von anderen Typiken