Entstehung sozialer Daten

Last modified by Helmut Nagy on 2010/05/03 19:40

Grundprobleme empirischer Sozialforschung

Empirische Sozialforschung ist die systematische Erfassung und Deutung sozialer Tatbestände.

Empirisch bedeutet Erfahrungsgemäß.

Systematisch bedeutet, dass die Erfahrung der Umwelt nach Regeln zu geschehen hat. Der gesamte Forschungsablauf muss nach bestimmten Voraussetzungen geplant und in jeder Phase nachvollziehbar sein.

Zu den empirisch wahrnehmbaren sozialen Tatbeständen gehören: beobachtbares menschliches Verhalten, von Menschen geschaffene Gegenstände, sowie durch Sprache vermittelte Meinungen.

Drei Hauptfragen
  • WARUM soll erfasst werden
  • WAS soll erfasst werden
  • Wie soll erfasst werden
Definition

"Empirische Sozialforschung ist die systematische Erfassung und Deutung sozialer Erscheinungen. Empirisch bedeutet, dass theoretisch formulierte Annahmen an spezifischen Wirklichkeiten überprüft werden. "Systematisch" weist darauf hin, dass dies nach Regeln vor sich gehen muss. Theoretische Annahmen und die Beschaffenheit der zu untersuchenden sozialen Realität sowie die zur Verfügung stehenden Mittel bedingen den Forschungsablauf" (S. 5)

Methoden: Die geregelte und nachvollziehbare Anwendung von Erfassungsinstrumenten wie Befragung, Beobachtung, Inhaltsanalyse. Je nachdem Grad der Kontrolle des Forschungsablaufes spricht man von Experimenten.

In der Anwendung überwiegen vorwiegend die quantitativen Methoden (Messvorgänge).

Empirische Sozialforschung entwickelte sich im 17 und 18 Jahrhundert. Man versuchte damals gesellschaftliche Massenerscheinungen zu erklären. Im 19 Jahrhundert versuchte man soziale Missstände quantitativ zu erfassen. Es wurden v. a. die Lebensverhältnisse der Arbeiter und ihrer Familien untersucht, sowie Aspekte industrieller Verstädterung.

Die Survey-Methode wurde zu Beginn des 20 Jhdt. Verwendet um Querschnittstudien über geographisch abgrenzbare Bevölkerungsgruppen zu erreichen.

Empirie - Empirismus

Empirische Sozialforschung muss bestimmten Kriterien der Wissenschaftlichkeit genügen. Objektivität wird angestrebt. Das Erfassen gesellschaftlicher Daten muss intersubjektiv nachvollziehbar sein.

Ein Befragungsinstrument ist dann verlässlich (reliabel), wenn es so exakt misst, dass bei Wiederholungen unter gleichen Bedingungen identische Ergebnisse erzielt werden.
Die Gültigkeit (Validität) betrifft die Frage, ob ein Messinstrument auch das misst, was es messen soll. Sind diese beiden Kriterien nicht gewährleistet, wird vom Empirismus gesprochen.

Empirismus ist das Unverständnis der Kriterien des empirischen Sozialforschung. Er liegt dann vor, wenn ein Theoriebezug nicht nachvollziehbar ist. Empirismus ist das Ignorieren von theoriegeleitetem Forschen.

Der theoretische Bezug und die Nachvollziehbarkeit der Analyse entscheidet darüber ob Empirie oder Empirismus vorliegt.

Hauptsächliche Anwendungen
  • Marktforschung
  • Meinungsforschung (Demoskopie)
Historische Entwicklung

Bis heute ungelöstes Problem: die "Verselbstständigung" der Methoden.

-> "Nicht die Verwendbarkeit von Methoden darf über das Ausmaß ihrer Anwendung entscheiden sondern lediglich Forschungsziel und Forschungslogik."

Bedingungen der Darstellung sozialer Daten
  • abstrahierte Wirklichkeit
    Soziale Daten: Systematische erhobene Aspekte gesellschaftlicher Wirklichkeit. Dabei handelt es sich immer um Abstraktionen spezifischer Wirklichkeiten. Der Subjektivität des Erlebten steht die Objektivierung vom Erlebtem gegenüber.
  • verkürzte Darstellung
    Liegt eine gründliche theoretische Konzeption nicht vor, handelt es sich im Grunde nicht um Empirie, sondern Empirismus. Regelmäßigkeiten und Auffälligkeiten, die festgestellt werden, geben keinen Aufschluss darüber, in welchem Zusammenhang sie untereinander stehen.

Bei Planung und Durchführung empirischer Sozialforschung ist die Festsetzung des Erkenntniszieles und die Formulierung theoretischer Aussagen das Wesentlichste.

Erste Beurteilungskriterien:

  • Entdeckungszusammenhang
    Ziel der Untersuchung, Motivation, Auftrag
  • Begründungszusammenhang
    Angewandte Forschungsregeln, Einsatz der Instrumente, Datenverarbeitung
  • Verwertungszusammenhang
    Publikation, Pressebericht oder unveröffentlichte Handlungsanweisungen Bsp.: für Unternehmungsführung/ Wahlstrategien
Forschungsablauf (quantitative Methoden)
5 Phasen
  • Problembenennung
  • Gegenstandsbenennung (Operationalisierung)
  • Durchführung (Anwendung von Forschungsmethoden)
  • Analyse (Auswertungsverfahren)
  • Verwendung von Ergebnissen
Problembenennung

Formulierung sozialer Probleme in Form wissenschaftlicher Fragestellungen (Hypothesen) und Definition des theoretischen Zusammenhangs, in dem die Untersuchung durchgeführt wird.

Hypothesen -> Erklärungsversuch der unerklärten Umwelt. Vorstellung, in welchen theoretischen Zusammenhängen die soziale Wirklichkeit untersucht wird.

Wissenschaftstheoretische Aspekte und die Funktionen von Theorien:

  • Theorie
    System von logisch widerspruchsfreien Aussagen über soziale Phänomene. In der empirischen Sozialforschung müssen sich Theorien auf Aussagen beschränken, die empirisch überprüfbar sind.
  • Metatheorien
    Theorien über Theorien.
  • Methodologie
    Vorgehensweise wissenschaftlichen Denkens.
  • Forschungsablauf
    Umsetzung dieses Denkens in einzelne systematische ausgerichtete und nachvollziehbare Forschungsschritte.

Folgende Kriterien sollen Theorien erfüllen:

  • muss logische Form haben, die als empirische Theorie gekennzeichnet ist.
  • müssen empirisch überprüfbar sein.
  • eine neu aufgestellte Theorie muss gegenüber bereits bestehenden Theorien neue Problemaspekte erklären.

Arten von Theorien (König):

  • Beobachtung empirischer Regelmäßigkeiten -> Bedarfsforschung
    deskriptive Feststellung von Erscheinungen
  • Entwicklung von ad-hoc-Theorien -> Bedarfsforschung
    eingegrenzte zeit-räumliche Aussagen
  • Theorien mit mittlerer Reichweite -> Grundlagenforschung
    Erklären zumindest Gruppenverhalten in vergleichbaren kulturellen Gesellschaften
  • Theorien mit höherer Komplexität -> weitgehend empirischer Forschung entzogen
    selten, nur Entwürfe
Gegenstandsbenennung / Operationalisierung

Bedingungen für Gegenstandsbestimmung:

  • Zeit
    Untersuchter Zeitabschnitt (Faktoren: Zeit, Mittel)
  • Gegenstandsbereich
    Welche Erscheinungen/Menschen wollen/können erfasst werden?
  • Feldzugang
    Welche Bereiche wären einer Befragung zugänglich?

Problem- und Gegenstandbenennung sind miteinander verbunden.

Modelle: "Modelle sind Abbildungen von Gegenständen und Vorgängen. Um diese theoretischen Abbildungen zu erhalten, müssen wir uns ein Bild der Gegenstände und Vorgänge machen. Dieses entsteht in unseren Gedanken und hat mit "Begriffen" und "Erkenntnis" zu tun."

Beobachtbare Erscheinungen werden in eine systematische Ordnung gebracht.

  • Klassifikation
    Unter Klassifikation wird eine bestimmte Anzahl von Merkmalen oder Dimensionen erfasst
    Anforderungen:
    • Eindeutigkeit
      liegt dann vor, wenn jedem Element unseren Forschungsgegenstandes, die Ausprägung  eines Merkmales zugeschrieben werden kann.
    • Vollständigkeit
      liegt dann vor, wenn beim Forschungsgegenstand alle Merkmalsausprägungen zugeordnet werden können.
    • Ausschließlichkeit
      ist gegeben wenn nur eine und nicht mehrere Merkmalsausprägungen zutreffen.
  • Typologien
    Typologien ordnen eine Vielzahl von Erscheinungen in  überschaubare Gruppen und haben das Merkmal, dass die Gruppen voneinander unterscheidbar werden.

Definition von Begriffen:

Begriffe erlauben Ordnung durch Sprache. [...] Ein Begriff enthält eine offen gelegte Zuordnung bestimmter Merkmale zu Objekten. Ohne definierte Begriffe sind Hypothesen nicht formulierbar.

Eine Hypothese ist ein mit Begriffen formulierter Satz, der empirisch falsifizierbar ist. Vorgaben für die Erstellung von Hypothesen:

  1. Hypothese ist eine Aussage, keine Frage, kein Befehl.
  2. Enthält mindestens 2 semantisch gehaltvolle Begriffe.
  3. Die Begriffe sind durch logische Operatoren (z.B. wenn ... dann) verbunden.
  4. Die Aussage ist nicht tautologisch.
  5. Die Aussage ist widerspruchsfrei.
  6. Die empirische Geltungsbedingung ist implizit oder explizit im Einzelnen aufgezählt.
  7. Die Begriffe sind auf Wirklichkeitsphänomene hin operationalisierbar.
  8. Die Aussage ist falsifizierbar.

"Begriffe an sich" gibt es bei der empirischen Sozialforschung nicht. Sie sind immer im Lichte der Forschungszusammenhänge und er einzelnen Schritte des Forschungsablaufes zu definieren.

Operationalisierung: Schritt der Zuordnung von eimpirisch erfassbaren, zu beobachtenden oder zu erfragenden Indikatoren zu einem theoretischen Begriff.

Die Überprüfung von Hypothesen an der sozialen Wirklichkeit setzt einen Übersetzungsvorgang in Forschungsoperationen voraus, die Operationslisierung.

Operationalisierungschritte:

  • Formulierung der Hypothese
  • Gegenstandsbenennung (Definition von Begriffen)
  • Übersetzung von Begriffen in Variablen und Indikatoren

Direkt beobachtbare Variablen (manifest) werden als Indikatoren bezeichnet. Variablen sind unterschiedliche Ausprägungen einer Eigenschaft.

Variablentypen:

  • dichotome Variablen (Ja/Nein)
  • diskrete Variablen (Wert1, Wert2, ... Wert n)
  • kontinuierliche Variablen (jeder Wert aus einer Menge reeller Zahlen)
  • manifeste Variablen (direkt beobachtbar (Indikator), z.B. Noten)
  • latente Variablen (nicht beobachtbar, z.B. Arbeitsintensität)
Forschungsdesign

Der Vorgang empirischer Überprüfung theoretischer Hypothesen. Art und Weise des Einsatzes von Forschungsinstrumenten.

Im Forschungsprozess wird soziale Wirklichkeit in 2 Bereiche geteilt:

  • aktuelles menschliches Verhalten
  • Produkte menschlicher Tätigkeit

Systematische Analyse der sozialen Wirklichkeit geschieht anhand von vier Methoden:

  1. Beobachtung
  2. Befragung
  3. Experiment
  4. Inhaltsanalyse

Ansatz zur Klassifizierung von Forschungsdesigns:

Ziel1. Gewinnung allgemeiner Erkenntnis
2. Gewinnung strategischer Erkenntnis
 Bereich1. Umfassend
2. Spezifisch
 Methoden1. kombinierter Einsatz
2. einzelner Einsatz
 Zeitliche Dimension1. Langzeitforschung
2. Punktuelle Forschung

z.B.

 GrundlagenforschungBedarfsforschung
Ziel: Gewinnung allgemeiner ErkenntnisZiel: Gewinnung strategischer Erkenntnis
Bereich: Umfassende ErhebungBereich: Erhebung eingegrenzter Daten (spezifisch
Methoden: kombinierter EinsatzMethoden: einzelner Einsatz
Zeitliche Dimension: LangzeitforschungZeitliche Dimension: punktuelle Forschung (Momentaufnahme)

Bedingungen für Qualität empirischer Sozialforschung:

  1. Abhängig von wissenschaftlicher Qualität der theoretischen Annahme
  2. Abhängig von Angemessenheit der Forschungsmethode
  3. Abhängig von Zugang zum Objekt
  4. Abhängig von materiellen Bedingungen
  5. Abhängig von systematischer Kontrolle des Forschungsablaufs und Berücksichtigung reaktiver Elemente
Kontrolle des Forschungsprozesses

Problemfelder:

Mutilierte Methodenverwendung (methodologische "Verstümmelung"): Wenn bewusst oder unbewusst, aus mangelnder Sorgfalt oder mangelnder Kenntnis, Methoden im Forschungsvorgang nur partiell oder unsystematisch zur Anwendung gelangen.

Die Aussagekraft empirischer Befunde hängt von drei Kriterien ab:

  1. Qualität der Gesamterhebung
  2. Qualität der Konzepte und Instrumente
  3. Qualität der Interpretation

Qualität der Interpretation hat besondere Bedeutung, da Daten in Beziehung gesetzt werden. Weitere Kriterien:

  • Repräsentativität
  • Zentralität
    Grad der Betroffenheit bei den Befragten

Störbereiche Repräsentativität:

  • Auswahl der Probanden
  • Erhebung der Daten
  • Auswertung der Umfrage und Ergebnisformulierung