Rekonstruktive Sozialforschung
Rekonstruktive Sozialforschung
Einführung in qualitative Methoden. (Bohnsack 2003)
- Rekonstruktive Verfahren in der empirischen Sozialforschung im Unterschied zu hypothesenprüfenden Verfahren
- Dokumentarische Methode
- Objektive Hermeneutik
- Zu einigen Unterschieden von dokumentarischer Methode und objektiver Hermeneutik
- Narratives Interview
- Gruppendikussionsverfahren
- Verstehen - Interpretieren - Typenbildung
- Qualitative Verfahren der Bildinterpretation und dokumentarische Methode
- Aspekthaftigkeit, Standortgebundenheit und Gültigkeit der Interpretation
- Praxeologische Methodologie
Rekonstruktive Verfahren in der empirischen Sozialforschung im Unterschied zu hypothesenprüfenden Verfahren
Sozialwissenschaften sind empirische Wissenschaften -> Erfahrungswissenschaften -> es finden nur theoretische Aussagen Anerkennung, die durch Erfahrung nachgeprüft werde können. Wie ist Erfahrung möglich bzw. wie sieht die Beziehung von Theorie und Erfahrung aus? -> Beziehung theoretischer Sätze zu denjenigen Sätzen oder Aussagen, in denen Erfahrungen, Beobachtungen formuliert werden (Basissätze, Protokollsätze).
Dokumentarische Methode
Anwendungsfeld:
- Jugend- und Devianzforschung und Kriminologie, Gender-Forschung
- Kleinkinderpädagogik und Kindheitsforschung, Familienforschung
- Organisationskulturforschung
- Mediennutzungsanalyse
- Leistungs- u. Werteforschung
- Mediensoziologie
- Wissenschaftsforschung
- ....
Anwendbar zur Auswertung von:
- Gruppendiskussionen
- 'natürlichen' Gesprächen
- offenen biographischen Interviews
- Feldforschungsprotokollen
- historische Texte, Bilder, Fotos Videografien
Objektive Hermeneutik
Steht in Tradition der kritischen Theorie unterscheidet sich jedoch in wesentlichen Punkten. (Oevermann)
- erhebt den Anspruch das sozial Unbewusste - "latent" soziale Sinnstrukturen - herauszuarbeiten (die nicht vollständig psychisch repräsentiert sind).
- setzt in Forschungspraxis an (empirische Verfahrensweise aus Forschungspraxis entwickelt)
Gesellschaftliche Subjekte sind in Handlungszusammenhänge eingebunden, deren Sinnstruktur sie nur zum Teil deuten bzw. lesen können. Fertigkeiten des Deutens und Interpretierens werden im praktischen Vollzug, in praktischer Einübung vom Meister auf den Schüler übertragen.
An Analyse von (pathologischen) Familienstrukturen entwickelt.
Zu einigen Unterschieden von dokumentarischer Methode und objektiver Hermeneutik
dokumentarische Methode = phänomenologisch wissenssoziologisch fundiert. Unterschied zu hermeneutischen Verfahren -> Reflexion der eigenen Verfahrensweise. Geht von Fremdheit zwischen Handelnden und Interpret aus (Verbindung zu Ethnographie und Kulturanthropologie)
Bedeutung von Fremdsein in dokumentarische Methode: Ausdrucksschemata - sprachlicher oder non-verbaler Art, wie sie mir im Sozialfeld begegnen - Auslgegungsschemate zuzuordnen, die ihnen nicht adäquat sind (Sich-fremd-machen, künstliche Dummheit).
In Objektiver Hermeneutik wird Kontext berücksichtigt, in dem die Kommunikation abläuft -> Adäquate Auslegesschemata werden zugewiesen.
Weiterer Unterschied: Aspekthaftikeit bzw. Standortgebundenheit von Interpretationen.
Objektive Hermeneutik: Kontrastfolie der 'objektiven Möglichkeiten' -> basiert auf in die interpretativen Kompetenzen des Forschers eingelassenen Normalitätsvorstelllungen.
Schwerpunkte dokumentarische Methode: Verstehen des Fremden in seiner anders gearteten milieugebundenen Normalität.
Narratives Interview
Zugang zu unterschiedlichen Ebenen der Erfahrungsbildung. (für objektive Hermeneutik von geringerem Interesse).
Durch Einfluss der Chicagoer Schule geprägt (Mead, symbolischer Interaktionismus). Einerseits wurde "Theorie des Erzählens" ausgearbeitet (Schütz), andererseits Theorie dessen was in Erzählungen mitgeteilt wird.
Biographieanalyse -> Biographietheorie (Schütz) -> vermittelt Zugang zum Aufbau biographisch relevanter Alltagserfahrung, 'Prozessstrukturen des Lebenslaufs' -> Voraussetzung für empirische Analyse, die sich nicht von hypothesen leiten lässt sondern rekonstruktiv vorgeht.
Gruppendikussionsverfahren
Gruppendiskussionsverfahren und Milieuforschung
In Marktforschung häufig verwendet ("focus group") hier wird der methodologischen Bedeutung aber kaum Rechnung getragen, primär zeitökonomisch/finanzielle Gründe ("Gruppeninterviews"). Gruppendiskussion nur dort wo methodologische Bedeutung von Interaktions-, Diskurs-, Gruppenprozessen für die Konstitution von Meinungen, Orientierungs- und Bedeutungsmustern in einem zugrunde liegenden theoretischen Modell verankert sind (qualitative Methoden).
Gruppendiskussion als empirischer Zugriff auf das Kollektive (Mangold): Durch wechselseitige Steigerung und Ergänzung der beteiligten Individuen zeichnen sich Gruppenmeinungen und kollektive Meinungen ab. Gruppenmeinung ist keine 'Summe' von Einzelmeinungen, sondern das Produkt kollektiver Interaktionen. Kollektive Meinung hat sich in einer Gruppe bereits konstituiert.
Verstehen - Interpretieren - Typenbildung
Arbeitsschritte der Textinterpretation:
- Formulierende Interpretation
- Reflektierende Interpretation
- Fallbeschreibung
- Typenbildung
Qualitative Verfahren der Bildinterpretation und dokumentarische Methode
Grundprinzipien der Textinterpretation auf Basis der dokumentarischen Methode haben auch für Bildinterpretation ihre Gültigkeit
Aspekthaftigkeit, Standortgebundenheit und Gültigkeit der Interpretation
- Frage der Zuverlässigkeit/Reproduzierbarkeit (Reliabilität)
-> Formalisierung der empirischen Verfahrensweise. - Frage der Gültigkeit
-> in welcher Weise kann die Erfahrungskonstitution zweiten Grades an Erfahrungsbildung im Alltag anschließen -> Generalisierbarkeit: an Gültigkeit von Typenbildung gebunden
Praxeologische Methodologie
- Umfassende Verankerung der wissenschaftlichen Erkenntnis in der sozialen Praxis
- Implizites Wissen und die Paradigmenabhängigkeit der Erkenntnis
Wir wissen mehr, als wir zu sagen wissen -> Basis von unausdrücklichem Erkennen (Polanyi) - Implizites Wissen als Fehlerquelle und als unabdingbare Voraussetzung für Erkenntnis
- Das Modell der Textinterpretation, die Generierung von Erkenntnis und die Kontrolle des Vorwissen
- Zwei Wege der Erkenntnisgenerierung: "Abduktion" und "qualitative Induktion"
- qualitative Induktion (objektive Hermeneutik)
- Abduktion (dokumenatrische Methode)
- Erkenntnisgenerierende Forschungsstile und die komperative Analyse
Komperative Analyse bedeutet zugleich einen "Denkraum" zu schaffen, innerhalb dessen unterschiedliche Erfahrungsräume nicht nur miteinander vergleichbar sonder auch ineinander übersetzbar sind. -> Voraussetzung für eine interkulturell operierende Sozialwissenschaft.